Der Verrat
getötet hatte. Oder vielleicht wegen der anderen Dinge, die ich getan hatte. Dass ich immer mal wieder mit der Hoffnung auf etwas Dauerhaftes, etwas Gutes gequält wurde und doch die ganze Zeit über wusste, dass es sich in Staub auflösen würde.
Vielleicht hat sie ja nichts gesagt. Vielleicht haben sie dich irgendwie anders gefunden.
Warum hat sie dich dann aber nicht gewarnt? Und warum hat sie die Visitenkarte behalten?
Ich hatte mir selbst eingeredet, dass ich in Rio so sicher war, dass ich sie treffen konnte. Jetzt wusste ich, dass ich mich geirrt hatte. Die Krankheit, die ich mit mir herumtrug, war noch immer ansteckend.
Und noch immer ein tödliches Risiko. Denn selbst wenn ich mich darauf verlassen konnte, dass sie den Mund hielt – sie wurde von der CIA beobachtet. Sie war ein Ziel geworden, ein Verknüpfungspunkt, genau wie Harry damals. Und Harry war am Ende tot. Ich wollte nicht, dass ihr das Gleiche widerfuhr.
So, und jetzt kam der schwierige Teil. Du musst es nicht gern tun, hatte mir ein Rekrutenausbilder mal gesagt. Du musst es nur tun.
Ich sah sie lange an. Ihre Augen waren zornig, aber ich sah auch Hoffnung darin. Die Hoffnung, dass ich sie in die Arme nehmen, sie an mich ziehen, um Verzeihung bitten und ihr beteuern würde, dass ich nur im ersten Moment vor lauter Überraschung so abwegige Schlüsse gezogen hätte.
Ich stand auf und blickte in diese schönen, grünen Augen, die jetzt sich vor Verblüffung und Schmerz weiteten. Ich fragte mich, ob sie wohl auch die Trauer in meinen sah.
»Leb wohl, Naomi«, sagte ich.
Ich ging. Wieder sagte ich mir, dass ich nicht enttäuscht war, nicht mal allzu überrascht. Ich hatte schon vor langer Zeit gelernt, niemandem zu glauben, dass Vertrauen im wirklichen Leben ungefähr dasselbe ist wie ein ungeschütztes Kinn im Boxring. Ich sagte mir, dass es ganz gut war, meine Weltsicht erneut bestätigt zu bekommen.
Ich ergriff ein paar zusätzliche Maßnahmen, um sicherzugehen, dass ich nicht verfolgt wurde. Dann ging ich zu einem ruhigen Strand bei Grumari, wo ich allein war, setzte mich und starrte aufs Meer hinaus.
Mach Naomi keine Vorwürfe, dachte ich. Jeder hätte dich verraten.
Midori nicht, kam die Antwort. Und dann dachte ich, nein, du versuchst nur, sie zu etwas zu machen, das zu schön ist, um wahr zu sein, etwas Unmögliches.
Ich blieb lange dort sitzen und dachte nach. Über mein Leben in Rio. Darüber, wie Naomi in dieses Leben hineingekommen und wie sie so jäh wieder daraus verschwunden war. Darüber, was ich tun sollte.
Ein leichter Wind strich über den Sand. Ich fühlte mich wie ausgehöhlt. Der Wind hätte auch einfach durch mich hindurchwehen können.
Vermutlich hätte ich einfach alles hinter mir lassen können. Wieder mal zum Notausgang rennen, irgendwo neu anfangen, einen anderen Yamada erfinden.
Ich schüttelte den Kopf, weil ich wusste, dass ich nicht dazu bereit war, nicht so kurz nach dem letzten Mal. Die Vorstellung, das alles erneut durchmachen zu müssen, erfüllte mich nur mit Grauen. Es wäre sowieso besser herauszufinden, was sie wollen. Selbst die Initiative zu ergreifen anstatt tatenlos abzuwarten, was sie vorhaben.
Also gut. Ich verließ den Strand und rief Kanezaki von einem öffentlichen Telefon aus an. Es war durchaus möglich, dass sie den Anruf bis nach Rio verfolgen konnten, aber sie wussten ja offensichtlich ohnehin schon, dass ich hier war.
Es klingelte zweimal. »Ja«, hörte ich ihn sagen. Er klang verschlafen. In Rio war früher Nachmittag, und Tokio war zwölf Stunden weiter. »Ich hoffe, ich hab Sie nicht geweckt«, sagte ich.
»Keine Sorge«, sagte er, als er meine Stimme erkannte. »Ich musste sowieso aufstehen, um ans Telefon zu gehen.«
Ich war selbst erstaunt, als ich mich lachen hörte. »Sagen Sie, was Sie wollen.«
»Können wir uns treffen?«
»Ich bin noch ein paar Tage in Rio«, erklärte ich. »Danach bin ich unerreichbar.«
»Also gut, ich komme zu Ihnen nach Rio.«
»Freut mich, dass ich Ihnen einen Vorwand liefern kann.«
Es entstand eine Pause. »Wo und wann?«
»Haben Sie ein GSM-Handy, das Sie auf Reisen benutzen?« Anders als japanische Handys funktioniert ein GSM-Gerät in Brasilien und fast überall sonst auf der Welt.
»Hab ich.«
»Gut. Geben Sie mir die Nummer.«
Er tat es. Ich schrieb sie auf und sagte dann: »Ich rufe Sie übermorgen, wenn Sie hier sind, auf dieser Nummer an.«
»Alles klar.«
Ich legte auf.
Zwei Tage später rief ich ihn an. Er wohnte im
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