Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
Vom Netzwerk:
mit den Flügeln zu schlagen.
    Meine Freunde würden ein paar Minuten brauchen, um sich ein richtiges Bild von der Lage zu machen. Sie wussten nicht, dass ihnen nur noch diese paar Minuten blieben.
    Ich schlenderte an den Marktständen vorbei und verschwand immer wieder kurz in irgendwelchen Elektronikläden, wobei ich mich unauffällig vergewisserte, dass meine Freunde auch nicht zu nah kamen. Für sie musste es so aussehen, als hätte ich Keiko allein auf Klamottenjagd geschickt, um derweil ungestört meinem Interesse an Computerzubehör und kopierter Software nachzugehen. Und ich kaufte auch wirklich ein paar Kleinigkeiten. Ein paar dicke, hellgraue Sportkniestrümpfe. Eine schlichte blaue Baseballmütze. Und ein Dutzend Duracel-Mono-D-Batterien. Alles für rund zwanzig Hongkong-Dollar. Ich lächelte. In Sham Shui Po konnte man wirklich günstig einkaufen.
    Im Weitergehen schob ich die Baseballmütze in meine Gesäßtasche. Dann hielt ich die Hände vor den Körper und zog, ohne hinzuschauen, damit meine Verfolger nichts merkten, den einen Kniestrumpf über den anderen. Ich schob acht Batterien in diesen Doppelstrumpf und machte direkt über den Batterien einen Knoten in den Strumpf, damit sie schön dicht zusammen auf einem Klumpen blieben. Das lange Ende des Strumpfes wickelte ich mir wie einen Verband ums rechte Handgelenk, hielt es mit drei Fingern fest und nahm den schweren Teil zwischen Daumen und Zeigefinger. Als ich um eine Ecke bog, ließ ich das Gewicht los. Es fiel ungefähr zwanzig Zentimeter tief und wurde dann mit einem Ruck abgefedert. Ich schlang den Stoff um die rechte Hand, bis das Ende mit den Batterien in meiner Handfläche lag, und hakte dann die Daumen in die vorderen Hosentaschen ein, so dass die Männer hinter mir meinen selbst gebastelten Totschläger nicht sehen konnten.
    Ich führte sie entgegen dem Uhrzeigersinn in einem Bogen, der vor einem dreistöckigen Lebensmittelmarkt etwa einen halben Kilometer von der U-Bahnstation entfernt endete. Ich ging hinein, vergewisserte mich dabei erneut, dass sie noch immer in angemessenem Abstand hinter mir waren. Es war leicht, sie in der Menschenmenge auszumachen. Sie waren die einzigen Nichtasiaten weit und breit.
    Was ein Problem für sie war, aber kein unlösbares. Der Markt war überfüllt und noch dazu laut. Wenn sie nah genug an mich rankamen, könnten sie mir ein Messer in die Nieren oder eine schallgedämpfte Kugel ins Rückgrat jagen, ohne dass es jemand mitbekam oder sich hinterher an sie erinnern würde. Ich an ihrer Stelle hätte genau hier zugeschlagen.
    Ich ging zwischen den Marktständen hindurch einen Gang entlang auf die Rolltreppe zu, von der ich wusste, dass sie am anderen Ende lag. Um mich herum hing Fleisch an Haken, und die Luft war durchdrungen von frischem Blutgeruch. Ausgenommene Aale wanden sich auf Bambustellern, ihre durchtrennten Hälften zuckten unabhängig voneinander. Abgehackte Fischköpfe öffneten und schlossen die Mäuler, und die Kiemen dahinter vibrierten, als versuchten sie noch immer zu atmen. Händler gestikulierten und schrien und feilschten. In Drahtkörben wimmelten Massen von Krabben und Krebsen und Fröschen. Ein einsamer Ziegenkopf kreiste an einem Haken, die Zähne im Todeskrampf zusammengepresst, die toten Augen starr über das Gewimmel hinweg auf einen düsteren und endgültigen Horizont gerichtet.
    Kurz vor der Rolltreppe löste ich mich aus der dichten Menge. Ich sprang die Stufen hinauf und drängte mich an etlichen Leuten vorbei, wohl wissend, dass die Männer hinter mir meine jähe Beschleunigung als Fluchtversuch deuten würden. Sobald auch sie aus dem Gedränge heraus waren, würden sie die Verfolgung aufnehmen. Und wenn sie mich erwischten, würden sie nicht lange fackeln.
    Oben angekommen, drehte ich mich um. Da waren sie, am unteren Ende der Rolltreppe, und sie schoben sich hastig an Leuten vorbei, die ihnen im Weg waren. Perfekt.
    Vor mir auf der linken Seite war eine grüne Doppeltür. Beide Flügel standen offen, und dahinter befand sich ein Lastenaufzug mit kleinem Ladebereich davor. Ich lief geradeaus, aus dem Gesichtsfeld meiner Verfolger heraus, und tauchte dann nach links in den Ladebereich. Sofort schwenkte ich wieder nach links, drückte mich gegen die Wand, halb hinter einer der offenen Türen versteckt, und spähte durch den Spalt zwischen den Angeln. Von hier aus würde ich sie sehen, wenn sie vorbeikamen. Ich rüttelte kurz an der Tür und stellte fest, dass sie hinreichend

Weitere Kostenlose Bücher