Der Verrat
Brusttasche stand Brioni. Der Typ trug drei- oder viertausend Dollar auf dem Leib herum. Das Hemd, das mit dem riesigen Blutfleck zugegebenermaßen etwas gelitten hatte, schien von ebenso feiner Qualität. Um den Hals trug er eine schöne Goldkette. Seine Taschen dagegen waren leer. Bloß ein Bündel Hongkong-Dollar und ein blödes Päckchen Pfefferminz. Clever, keine Papiere bei sich zu haben. Wenn sie geschnappt werden, stellen sie sich dumm, rufen vielleicht die Botschaft an, kommen auf Kaution raus. Aber welche Botschaft? Von welchem Land?
Ich ging zum nächsten, obwohl es mich noch mehr Zeit kostete. Noch ein Brioni-Jackett, und diesmal auch eine goldene Jaeger-LeCoultre-Uhr. Aber mehr auch nicht.
Der Dritte trug ein Handy am Gürtel. Oh ja, das war der, an dem Keiko und ich im Shun-Tak-Terminal vorbeigekommen waren. Sonnenbrille. Ich zog das Handy aus der Halterung und öffnete sein Jackett. Schon wieder Brioni. Schon wieder leere Taschen, bis auf die Sonnenbrille, der er seinen kurzlebigen Spitznamen verdankt hatte. Auch die Hosentaschen waren leer.
Ich blickte auf, sah mich um. Die Gänge waren gedrängt voll mit fliehenden Menschen. Eine Massenpanik hält meist auch dann noch an, wenn die eigentliche Ursache schon nicht mehr besteht. Wahrscheinlich wussten die meisten von diesen Leuten gar nicht, wovor sie eigentlich wegliefen, hatten weder was gesehen noch gehört. Meine Fluchtwege würden sich nicht so bald wieder öffnen.
Fahrstuhl, dachte ich. Ich lief geduckt in den Ladebereich und drückte mit einem Fingerknöchel auf den Abwärtsknopf. Ich musste quälend lange warten und fühlte mich ungeschützt, bis das verdammte Ding endlich kam. Die Türen öffneten sich. Ich trat in die Kabine, drückte auf die Knöpfe für »Erdgeschoss« und »Tür schließen«, und sofort glitten die Türen zu, und der Fahrstuhl fuhr ruckelnd nach unten.
Ich zog die Baseballmütze aus der Gesäßtasche und setzte sie auf. Dann steckte ich das Handy ein, klemmte die Pistole in den Hosenbund zog das Sakko aus, unter dem ich ein weißes Hemd trug. Unmittelbar nach der Panik würden Zeugen sich nur an grobe Einzelheiten erinnern – Farbe der Kleidung, Krawatte ja oder nein, so was eben. Die neue Mütze und das verschwundene Sakko würden genügen, dass ich unbeschadet hier rauskam. Ich zog das Hemd aus der Hose und ließ es über die Pistole fallen.
Die Fahrstuhltüren öffneten sich. Hier unten war es stiller, aber trotzdem herrschte eine gewisse Unruhe, und es war klar, dass irgendwas passiert war. Ich bewegte mich einen der Gänge hinunter, drückte mich an Kunden vorbei, die über mich hinwegsahen und herausfinden wollten, was da hinten los war. Mein Schritttempo war zügig, aber nicht auffällig. Ich hielt den Kopf gesenkt und wich den Blicken aus.
Im Bereich des Eingangs, durch den wir gekommen waren, war der Rhythmus der Menschen wieder vollkommen normal, und sie waren ernst und konzentriert damit beschäftigt, den frischesten Fisch auszusuchen oder das delikateste Stück Fleisch. Ich ging an ihnen vorbei und trat auf die Straße.
Ich legte das Jackett zusammen, schob die Waffe hinein und wischte sie beim Gehen gründlich ab. Ich machte das nach Gefühl. Lauf, Abzugsbügel, Abzug, Knauf.
Natürlich waren die Fingerabdrücke nicht das einzige Problem. Unter Stress sondert man Schweiß ab. Schweiß enthält DNA. Das gleiche gilt für mikroskopisch kleine, abgestorbene Hautzellen, die ebenso wie Schweiß an Metall anhaften. Wenn man das Pech hat, unter Verdacht zu geraten, macht es ziemlich viele Umstände, wenn man erklären muss, wie die eigene DNA auf die Mordwaffe geraten ist. Die Kleidung der Toten, die ich berührt hatte, als ich sie durchsuchte, war dagegen weniger problematisch. Fingerabdrücke waren nicht feststellbar, und wahrscheinlich hatte ich sie nicht lange oder fest genug angefasst, um eine nachweisbare Menge Schweiß oder Hautzellen zu hinterlassen.
Ich bog in eine kleine Gasse, in der sich zahllose überquellende Plastikmülltonnen drängten. An einer Hauswand führte ein Aluminiumfallrohr nach unten zu einem offenen Gully. Ich schob das Rohr beiseite und ließ die Waffe in den Gully fallen. Zu meiner Zufriedenheit sah ich es aufspritzen. Ich schaute mich um – alles klar. Ich übergab die Batterien derselben letzten Ruhestatt, nicht ohne zuvor noch jede einzelne mit dem Strumpf abgewischt zu haben, dann schob ich das Rohr wieder an seine Ausgangsposition zurück und ging weiter.
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