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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Obdachlosen, schwitzen Sie’s aus, und kommen Sie dann wieder zurück. Das ist ein sehr ungünstiger Moment, den Sie sich da ausgesucht haben, Mike. Sie wissen ja, wie sehr wir schon im Verzug sind.«
    »So funktioniert das nicht, Rudolph. Mit Sicherheitsnetz macht es einfach keinen Spaß.«
    »Spaß? Sie machen das zum Spaß?«
    »Aber natürlich. Denken Sie nur daran, wie viel mehr Spaß die Arbeit macht, wenn man dabei nicht auf die Stoppuhr sehen muss.«
    »Und was ist mit Claire?« fragte er und enthüllte damit das ganze Ausmaß seiner Verzweiflung. Er kannte Claire kaum und war in der ganzen Kanzlei der letzte, der in der Lage gewesen wäre, in Partnerschaftskrisen gute Ratschläge zu geben.
    »Claire geht’s gut«, sagte ich. »Ich möchte am Freitag aufhören.«
    Stöhnend gab er sich geschlagen, schloss die Augen und schüttelte langsam den Kopf. »Ich kann es nicht fassen.«
    »Es tut mir leid, Rudolph.«
    Wir gaben uns die Hand und verabredeten uns zu einem frühen Frühstück, bei dem wir die Einzelheiten meiner nicht abgeschlossenen Fälle besprechen würden.
    Ich wollte nicht, dass Polly es von jemand anderem erfuhr, und so ging ich in mein Büro und rief sie an. Sie war zu Hause, in Arlington, und kochte gerade das Abendessen. Ich verdarb ihr die ganze Woche.
    Auf dem Heimweg kaufte ich thailändisches Essen. Ich legte Wein in den Kühlschrank, deckte den Tisch und probte meinen Text.
    Wenn Claire einen Hinterhalt erwartet hatte, ließ sie es sich nicht anmerken. Im Lauf der Jahre hatten wir uns angewöhnt, uns nicht mehr zu streiten, sondern einander einfach zu ignorieren. Daher war unsere taktische Finesse eher unterentwickelt.
    Aber mir gefiel der Gedanke, eine volle Breitseite abzufeuern, mit kühler Berechnung einen Schock zu versetzen und dann noch ironische Bemerkungen parat zu haben. Ich fand das hübsch unfair und im Rahmen einer in die Brüche gehenden Ehe vollkommen angemessen.
    Es war fast zehn; sie hatte schon vor Stunden gegessen, und so gingen wir gleich mit unseren Weingläsern ins Wohnzimmer. Ich zündete ein Feuer im Kamin an, und wir setzten uns in unsere Lieblingssessel. Nach kurzem Schweigen sagte ich: »Wir müssen reden.«
    »Worum geht es?« fragte sie ganz arglos.
    »Ich spiele mit dem Gedanken, bei Drake & Sweeney zu kündigen.«
    »Tatsächlich?« Sie trank einen Schluck Wein. Ich bewunderte ihre Gelassenheit.
    Entweder hatte sie damit gerechnet, oder sie wollte den Eindruck erwecken, das Ganze lasse sie kalt.
    »Ja. Ich kann dort nicht weiter arbeiten.«
    »Warum nicht?«
    »Ich brauche eine Veränderung. Diese Kartellrechtsfälle erscheinen mir mit einemmal so langweilig und unwichtig, und ich will etwas tun, was den Menschen dient.«
    »Das ist schön.« Sie dachte bereits an Geld, und ich war gespannt, wie lange sie brauchen würde, um diesen Aspekt der Sache anzusprechen. »Das ist geradezu bewundernswert, Michael.«
    »Ich hab dir doch von Mordecai Green erzählt. Er hat mir einen Job in seinem Rechtsberatungsbüro angeboten. Ich fange am Montag an.«
    »Nächsten Montag?«
    »Ja.«
    »Dann hast du deine Entscheidung ja schon getroffen.«
    »Ja.«
    »Ohne sie mit mir zu besprechen. Ich habe in dieser Sache offenbar nichts zu sagen.«
    »Ich kann nicht zurück, Claire. Ich habe es Rudolph heute Abend gesagt.«
    Noch ein Schluck Wein, ein leises Zähneknirschen, ein kleines Aufflammen von Wut, doch sonst nichts. Ihre Selbstbeherrschung war wirklich bemerkenswert.
    Wir sahen ins Feuer, hypnotisiert von den orangeroten Flammen. Sie brach das Schweigen. »Darf ich fragen, was das finanziell für uns bedeutet?«
    »Es verändert einiges.«
    »Wie hoch ist dein neues Gehalt?«
    »Dreißigtausend im Jahr.«
    »Dreißigtausend im Jahr«, wiederholte sie. Dann sagte sie es noch einmal, und irgendwie klang der Betrag jetzt noch lächerlicher. »Das ist weniger, als ich verdiene.«
    Ihr Gehalt betrug einunddreißigtausend und würde in den kommenden Jahren deutlich ansteigen. Nicht mehr lange, und sie würde viel Geld verdienen. Was diese Diskussion betraf, so war ich entschlossen, keine Sympathien für irgendwelche Klagen über Geld zu haben.
    »Man setzt sich nicht für Obdachlose ein, um damit Geld zu verdienen«, sagte ich und versuchte, nicht allzu salbungsvoll zu klingen. »Wenn ich mich recht erinnere, hast du dein Medizinstudium nicht angefangen, weil du viel Geld verdienen wolltest.«
    Wie jeder andere Medizinstudent hatte sie anfangs geschworen, der Gedanke an Geld

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