Der Verrat
würde er sich selbst finanzieren.«
Wieder beiderseitiges Lächeln.
»So ungern ich es auch zugebe: Unser Überleben wird davon abhängen, ob wir es schaffen, Geld aufzutreiben«, fuhr er fort. »Die Cohen-Stiftung geht den Bach runter. Bisher konnten wir uns den Luxus leisten, nicht zu betteln, aber das ist jetzt vorbei.«
»Und woraus besteht der Rest der Arbeit?«
»Aus der Vertretung von Menschen, die auf der Straße leben. Sie haben ja schon einen gewissen Eindruck davon bekommen. Und Sie haben unser Büro gesehen. Es ist ein Loch. Sofia ist eine Kratzbürste, Abraham ist ein Sturkopf, die Mandanten riechen schlecht, und das Gehalt ist ein Witz.«
»Wie viel?«
»Wir könnten Ihnen dreißigtausend im Jahr anbieten, aber garantieren können wir Ihnen nur die erste Hälfte, die ersten sechs Monate.«
»Warum?«
»Das Geschäftsjahr der Stiftung endet am 30. Juni. Dann erfahren wir, wie viel Geld wir für das nächste Jahr kriegen, das mit dem 1. Juli beginnt. Wir haben genug Reserven, um Sie für die nächsten sechs Monate zu bezahlen. Danach werden wir vier uns teilen, was nach Abzug der laufenden Kosten übrigbleibt.«
»Abraham und Sofia waren einverstanden?«
»Ja, nachdem ich eine kleine Ansprache gehalten hatte. Wir nehmen an, dass Sie gute Kontakte zu den höheren Etagen der Juristerei haben, und da Sie gebildet, intelligent, präsentabel und so weiter sind, dürfte es Ihnen nicht schwer fallen, Geld aufzutreiben.«
»Und wenn ich keins auftreiben will?«
»Dann schrauben wir vier unsere Gehälter noch weiter herunter, vielleicht auf zwanzigtausend. Später dann auf fünfzehn. Und wenn die Stiftung pleite ist, stehen wir auf der Straße wie unsere Mandanten. Obdachlose Anwälte.«
»Dann liegt die Zukunft des Rechtsberatungsbüros in der 14th Street also in meinen Händen?«
»Zu diesem Schluss sind wir jedenfalls gekommen. Sie werden Teilhaber. Ich bin gespannt, ob Drake & Sweeney da mithalten kann.«
»Ich bin gerührt«, sagte ich. Doch ich hatte auch ein bißchen Angst. Das Angebot kam nicht überraschend, aber es öffnete eine Tür, vor der ich zurückschreckte.
Der Ober brachte schwarze Bohnensuppe, und wir bestellten noch mehr Bier.
»Woher kommt Abraham?« fragte ich.
»Er ist aus einer jüdischen Familie in Brooklyn. Kam nach Washington, um in Senator Moynihans Stab zu arbeiten. Hat ein paar Jahre auf dem Capitol Hill verbracht und ist dann auf der Straße gelandet. Äußerst intelligent. Er verbringt die meiste Zeit damit, Prozessstrategien und -termine mit Gratisanwälten aus den großen Kanzleien abzusprechen. Im Augenblick klagt er gegen das Amt für Statistik, um durchzusetzen, dass Obdachlose ebenfalls gezählt werden. Und er verklagt die Schulbehörde von Washington, D.C., um sicherzustellen, dass obdachlose Kinder eine Schulausbildung bekommen. Was seinen Umgang mit Menschen betrifft, hat er noch viel zu lernen, aber als Hinterzimmerstratege ist er erstklassig.«
»Und Sofia?«
»Eine engagierte Sozialarbeiterin, die seit elf Jahren Abendseminare für Jura besucht. Sie denkt und handelt wie eine Anwältin, besonders, wenn sie Beamten die Hölle heiß macht. Sie sagt zehnmal am Tag: >Guten Tag, hier ist Sofia Mendoza. Ich bin Anwältin.<«
»Ist sie auch die Sekretärin?«
»Nein. Wir haben keine Sekretärin. Für das Schreiben, Abheften und Kaffeekochen ist jeder selbst zuständig.« Er beugte sich ein wenig vor und senkte die Stimme.
»Wir drei arbeiten schon sehr lange zusammen, und jeder hat seine kleine Nische.
Um ehrlich zu sein: Wir brauchen ein neues Gesicht und neue Ideen.«
»Das Gehalt ist wirklich verführerisch«, sagte ich. Es war ein ziemlich flauer Witz.
Er grinste trotzdem. »Sie werden das nicht wegen des Geldes tun. Sie tun es für ihre Seele.«
Meine Seele hielt mich den größten Teil der Nacht wach. Hatte ich wirklich den Mumm, einfach zu gehen? Zog ich einen Job, bei dem ich so wenig verdiente, wirklich ernsthaft in Erwägung? Wenn ich mich dafür entschied, ließ ich mir buchstäblich Millionen Dollar entgehen.
Meine jetzigen Wünsche würden dann nur nur noch eine ferne Erinnerung sein.
Der Zeitpunkt war nicht schlecht gewählt. Meine Ehe lag in Scherben, und es erschien mir irgendwie angemessen, auch an anderen Fronten drastische Veränderungen vorzunehmen.
ZWÖLF
Am Dienstag meldete ich mich krank. »Wahrscheinlich eine Grippe«, sagte ich zu Polly, die, wie sie es gelernt hatte, sofort nach Details fragte: Fieber,
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