Der Verrat
eine rote Ampel überfahren hat und ich im Krankenhaus gelandet bin.«
»Ist das die Akte, die wir aus Ihrem Wagen geholt haben?«
»Ja. Ich wollte sie kopieren und bei Drake & Sweeney wieder an ihren Platz stellen. Niemand hätte etwas gemerkt.«
»Ich weiß nicht, ob das klug war.« Am liebsten hätte er mich einen Dummkopf genannt, aber dafür kannten wir uns noch nicht lange genug.
»Was fehlt aus der Akte?« fragte er.
Ich fasste die Geschichte von RiverOaks und ihren Bemühungen um den Post-Auftrag kurz zusammen. »Es wurde also Druck ausgeübt, um das Grundstück möglichst schnell in die Hand zu bekommen. Palma wollte sich das Lagerhaus ansehen und wurde überfallen. Das steht in einer Aktennotiz. Er ging noch mal hin, diesmal mit einem Wachmann, aber die entsprechende Aktennotiz fehlt. Sie war ordnungsgemäß eingeheftet worden, ist aber entfernt worden, wahrscheinlich von Braden Chance.«
»Und was steht in dieser Aktennotiz?«
»Weiß ich nicht. Aber ich habe so ein Gefühl, dass Hector das Lagerhaus inspizieren wollte und dabei auf die Besetzer in ihren Behelfswohnungen gestoßen ist. Er hat mit ihnen gesprochen und erfahren, dass sie Tillman Gantry Miete zahlten. Sie waren also keine Besetzer, sondern Mieter mit sämtlichen entsprechenden Rechten. Aber die Abrissbirne war schon unterwegs, das Geschäft musste abgeschlossen werden, Gantry wollte ein Vermögen verdienen, und so wurde die Aktennotiz ignoriert und die Zwangsräumung durchgeführt.«
»Es waren siebzehn Leute?«
»Ja, und einige Kinder.«
»Kennen Sie die Namen der anderen?«
»Ja. Jemand - ich nehme an, es war Palma - hat mir eine Liste gegeben. Er hat sie auf meinen Schreibtisch gelegt. Wenn wir diese Leute finden, haben wir unsere Zeugen.«
»Vielleicht. Wahrscheinlicher ist, dass Gantry ihnen eine Heidenangst eingejagt hat. Er ist ein Riesenkerl mit einer Riesenkanone und hält sich für eine Art Paten. Wenn er den Leuten sagt, sie sollen den Mund halten, dann halten sie ihn auch, sonst fischt man sie irgendwann aus dem Fluss.«
»Aber Sie haben doch keine Angst vor ihm, oder? Los, wir finden ihn und nehmen ihn ein bißchen in die Zange. Er wird zusammenbrechen und alles gestehen.«
»Wie viel Zeit haben Sie eigentlich auf der Straße verbracht? Herrgott, ich habe einen Dummkopf angestellt.«
»Wenn er uns sieht, macht er sich vor Angst in die Hose.«
Um diese Uhrzeit funktionierte mein Humor noch nicht. Ebenso wenig wie die Heizung von Mordecais Wagen. Das Gebläse lief auf Hochtouren, und doch war es eiskalt.
»Wie viel hat Gantry für das Gebäude gekriegt?« fragte er.
»Zweihunderttausend. Er hatte es sechs Monate vorher gekauft. Aus den Unterlagen geht nicht hervor, wie viel er damals dafür bezahlt hat.«
»Von wem hat er es denn gekauft?«
»Von der Stadt. Es stand leer.«
»Dann hat er wahrscheinlich fünftausend dafür bezahlt. Höchstens zehntausend.«
»Kein schlechter Gewinn.«
»Allerdings. Und für Gantry ist das ein Schritt auf der Karriereleiter. Bisher hat er nur Kleinkram gemacht: Garagen, Autowaschanlagen, kleine Gemüseläden -
nichts Großes.«
»Warum hat er ein Lagerhaus gekauft und billig vermietet?«
»Um an Bargeld zu kommen. Nehmen wir mal an, er hat fünftausend dafür bezahlt und noch mal tausend für ein paar Wände und ein paar Toiletten hineingesteckt.
Er lässt den Strom wieder anschließen, und schon ist er im Geschäft. Es spricht sich herum, Mieter tauchen auf, er kassiert hundert Dollar pro Monat, und zwar in bar. Seine Mieter halten sowieso wenig von Papierkram. Er sorgt dafür, dass das Haus weiterhin verkommen aussieht, damit er, wenn die Stadt ihm auf die Schliche kommt, sagen kann, dass diese Leute nur Besetzer sind. In diesem Fall verspricht er, sie rauszuschmeißen, aber das hat er in Wirklichkeit nicht vor.
So was passiert andauernd. Die amtliche Bezeichnung dafür ist ungeschützte Zurverfügungstellung von Wohnraum<.«
Fast hätte ich gefragt, warum die Stadt nicht eingriff und ihre Verordnungen durchsetzte, doch zum Glück besann ich mich rechtzeitig. Die Antwort gaben die Schlaglöcher, die zu zahlreich waren, um sie zählen oder ihnen ausweichen zu können, die Polizeiwagen, von denen ein Drittel eine Gefährdung des Straßenverkehrs darstellte, die Schulen, deren Dächer durchhingen, die Krankenhäuser, in denen man Patienten in Abstellkammern unterbringen musste, und die fünfhundert obdachlosen Mütter mit ihren Kindern, die keine Unterkunft fanden. Diese
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