Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
Vom Netzwerk:
Stadt funktionierte einfach nicht mehr.
    Und ein Mann, der unrechtmäßig Wohnraum vermietete und somit Obdachlosen ein Dach über dem Kopf bot, hatte nicht gerade erste Priorität.
    »Wie wollen Sie Hector Palma finden?« fragte Mordecai.
    »Ich nehme an, die Kanzlei ist so schlau, ihn nicht zu entlassen. Es gibt sieben Filialen, also werden sie ihn in irgendeiner davon untergebracht haben. Ich werde ihn schon auftreiben.«
    Wir waren mittlerweile in der Innenstadt. Er zeigte nach vorn und sagte: »Sehen Sie die Wohncontainer, die da drüben aufgestapelt sind? Das ist Mount Vernon Square.«
    Das Gelände umfaßte einen halben Block. Es war hoch umzäunt, damit man nicht hineinsehen konnte. Die Container waren verschieden lang und groß, manche wirkten heruntergekommen, und alle waren schmutzig.
    »Das ist die schlechteste Notunterkunft in der ganzen Stadt. Es sind alte Container der Post, ein Geschenk der Regierung an die Stadt, die auf die brillante Idee gekommen ist, sie als Notbehausungen für Obdachlose zu verwenden. Die sitzen da drinnen wie Sardinen in der Dose.«
    An der Ecke 2nd Street und Avenue D zeigte er mir ein langes, dreistöckiges Gebäude, in dem eintausenddreihundert Menschen wohnten.

Das CCNV war in den frühen siebziger Jahren von Kriegsgegnern gegründet worden, die sich in Washington versammelt hatten, um der Regierung Dampf zu machen. Sie lebten gemeinsam in einem Haus in Northwest. Bei ihren Protesten rings um das Capitol lernten sie obdachlose Veteranen kennen und nahmen sie bei sich auf.
    Ihre Zahl wuchs, und sie zogen in größere Quartiere an verschiedenen Stellen der Stadt. Nach dem Krieg wandten sie ihre Aufmerksamkeit den Obdachlosen von Washington zu. In den frühen achtziger Jahren setzte sich ein Mann namens Mitch Snyder an die Spitze der Organisation und machte sich bald einen Namen als leidenschaftlicher und lautstarker Kämpfer für die Sache der Obdachlosen.
    Das CCNV entdeckte ein leerstehendes College-Gebäude, das mit staatlichen Mitteln gebaut worden war und sich immer noch in Bundesbesitz befand, und besetzte es mit sechshundert Obdachlosen. Es wurde das Hauptquartier des CCNV
    und ein Heim für Obdachlose. Man unternahm verschiedene Versuche, sie zu vertreiben, doch alle waren erfolglos. 1984 trat Snyder in einen einundfünfzig Tage dauernden Hungerstreik, um auf die menschenunwürdige Behandlung der Obdachlosen aufmerksam zu machen. Einen Monat vor der Wahl erklärte Präsident Reagan mit großer Gebärde, er werde das Gebäude in eine Modellunterkunft für Obdachlose umwandeln. Snyder beendete seinen Streik. Alle waren zufrieden. Nach seiner Wiederwahl vergaß Reagan sein Versprechen. Es folgten viele hässliche Gerichtsverfahren.
    1989 baute die Stadt in Southeast, weit vom Zentrum entfernt, eine neue Notunterkunft und wollte die Unterstützer des CCNV dorthin umsiedeln, musste jedoch feststellen, dass diese recht widerspenstig waren. Sie hatten nicht die Absicht umzuziehen. Snyder verkündete, sie seien dabei, die Fenster zu verbarrikadieren und sich auf eine Belagerung vorzubereiten. Die Gerüchte überschlugen sich: Dort drinnen seien achthundert Obdachlose; man habe Waffen gehortet; es werde ein Blutbad geben.
    Die Stadt nahm ihr Ultimatum zurück und schloss Frieden. Das CCNV verfügte schließlich über dreizehnhundert Betten. 1990 beging Snyder Selbstmord. Die Stadt benannte eine Straße nach ihm.
    Als wir ankamen, war es fast halb neun, die Zeit, zu der die Obdachlosen das Haus verlassen mussten. Viele hatten Jobs, und die anderen würden den Tag draußen verbringen. Hundert Männer standen vor dem Haupteingang herum und genossen nach einer warmen, ruhigen Nacht ein kleines Schwätzchen in der kühlen Morgenluft.
    Im Erdgeschoss sprach Mordecai mit dem Pförtner in seinem Glaskasten. Er trug sich in ein Buch ein, und dann gingen wir durch die Lobby, gegen den Strom von Männern, die auf dem Weg nach draußen waren. Ich bemühte mich, die Tatsache zu vergessen, dass ich ein Weißer war, aber es war unmöglich. Ich war einigermaßen gut gekleidet, mit Jackett und Krawatte, ich hatte mein bisheriges Leben in Wohlstand verbracht und trieb nun in einem Meer von Schwarz: junge, abgebrühte Burschen, von denen die meisten vorbestraft waren und die wenigsten mehr als drei Dollar in der Tasche hatten. Bestimmt würde einer von ihnen über mich herfallen und mir die Brieftasche abnehmen. Ich vermied direkten Blickkontakt und sah stirnrunzelnd zu Boden. Wir warteten vor

Weitere Kostenlose Bücher