Der Verrat
»Passen Sie auf, meine Liebe«, sagte er mit seinem üblichen schmutzigen Grinsen, »es gibt genau zwei Möglichkeiten. Entweder Sie setzen sich auf den Stuhl da und halten den Mund, oder wir legen Ihnen Handschellen an, und Sie können die nächsten zwei Stunden auf dem Rücksitz des Streifenwagens verbringen.«
Einer der Polizisten steckte den Kopf in die angrenzenden Büros. Ich spürte, dass Ruby dicht hinter mir stand.
»Entspann dich«, sagte Mordecai zu Sofia. »Setz dich und entspann dich.«
»Was ist oben?« fragte Gasko.
»Lager«, sagte Mordecai.
»Ihr Lager?«
»Ja.«
»Sie ist nicht hier«, sagte ich. »Sie verschwinden Ihre Zeit.«
»Dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig.«
Ein potentieller Mandant öffnete die Eingangstür. Alle drehten sich zu ihm um.
Sein Blick huschte durchs Zimmer und heftete sich auf die drei Polizisten in Uniform. Er machte auf dem Absatz kehrt - auf der Straße war es offenbar sicherer.
Ich bat auch Ruby zu gehen. Dann trat ich in Mordecais Büro und schloss die Tür.
»Wo ist die Akte?« fragte er leise.
»Nicht hier, ich schwöre es. Die Durchsuchung ist eine reine Schikane.«
»Der Durchsuchungsbefehl ist in Ordnung. Es ist ein Diebstahl geschehen, und es liegt natürlich nahe zu vermuten, dass die Akte bei dem Anwalt ist, der sie gestohlen hat.«
Ich zermarterte mir den Kopf nach einem juristischen Wissensbrocken, irgendeinem bestechenden Argument, das die Durchsuchung beenden und die Polizisten zum Rückzug zwingen würde, aber leider fiel mir nichts ein. Ich schämte mich, der Anlass dafür zu sein, dass die Polizei im Beratungsbüro herumschnüffelte.
»Haben Sie eine Kopie der Akte?« fragte Mordecai.
»Ja.«
»Haben Sie schon daran gedacht, das Original zurückzugeben?«
»Das kann ich nicht. Das wäre ein Schuldeingeständnis. Sie wissen nicht mit Sicherheit, ob ich die Akte habe. Und selbst wenn ich sie zurückgeben würde, könnten sie sich ausrechnen, dass ich eine Kopie gemacht habe.«
Er strich sich über den Bart und gab mir recht. Als wir aus dem Büro traten, stolperte Lilly gegen den unbenutzten Schreibtisch neben dem Sofias. Eine Aktenlawine stürzte zu Boden. Sofia schrie Lilly an, Gasko schrie Sofia an. Die Spannung wuchs. Bald würde sie sich nicht mehr in Worten, sondern in körperlicher Gewalt entladen.
Ich schloss die Vordertür ab, damit nicht noch mehr Mandanten Zeugen der Durchsuchung wurden. »Ich schlage folgendes vor«, sagte Mordecai. Die Polizisten sahen ihn finster an, waren aber dankbar für jede Anregung. Eine Anwaltskanzlei war etwas anderes als eine Bar voller Minderjähriger.
»Also: Ich verspreche Ihnen, die Akte ist nicht hier. Sie können sich alle Akten ansehen, aber Sie dürfen keine öffnen. Das wäre ein Verstoß gegen die Vertraulichkeit des Verhältnisses zwischen Anwalt und Mandant. Einverstanden?«
Die anderen sahen Gasko an, der die Schultern zuckte, als wäre das gerade noch annehmbar.
Wir begannen in meinem Büro. Alle sechs Polizisten, Mordecai und ich drängten sich in dem winzigen Raum und gaben sich große Mühe, jeden Körperkontakt zu vermeiden. Ich öffnete alle Schubladen meines Schreibtischs, was einiges Ziehen und Zerren erforderte. Ich hörte Gasko flüstern: »Tolles Büro.«
Ich zog jede einzelne Akte aus dem Regal, hielt sie Gasko unter die Nase und stellte sie wieder zurück. Ich war erst seit Montag da, und so gab es nicht viel zu durchsuchen.
Mordecai ging zu Sofias Schreibtisch und telefonierte. Als Gasko mein Büro für durchsucht erklärte und wir hinausgingen, hörten wir Mordecai sagen: »Ja, Euer Ehren. Danke. Hier ist er.«
Er hielt Gasko den Hörer hin und lächelte von einem Ohr zum anderen. »Hier ist Richter Kisner, der den Durchsuchungsbefehl unterschrieben hat. Er möchte mit Ihnen sprechen.«
Gasko nahm den Hörer, als könnte er sich daran mit Lepra infizieren. »Gasko«, sagte er und hielt ihn sich ein paar Zentimeter vom Ohr weg.
Mordecai wandte sich den anderen Polizisten zu. »Meine Herren, Sie dürfen nur diesen Raum durchsuchen, nicht aber die anderen Büros. Anordnung des Richters.«
Gasko murmelte: »Ja, Euer Ehren«, und legte auf.
Eine Stunde lang beobachteten wir alles, was sie taten. Sie nahmen sich einen Tisch nach dem anderen vor, insgesamt vier, auch den von Sofia. Schon nach wenigen Minuten wurde ihnen klar, dass die Durchsuchung erfolglos bleiben würde, und so dehnten sie sie aus, indem sie sich so langsam wie möglich bewegten. Auf jedem
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