Der Verrat
träumte davon, auf die Marineschule zu gehen. Mr. Rowlands hatte in der Marine gedient.
Eines Abends war Ruby in besonders schlechter Verfassung. Als Mrs. Rowlands ihr in der Küche Vorwürfe machte, gab es einen Streit. Es fielen harte Worte; Ultimaten wurden gestellt. Terrence stand auf der Seite der Rowlands - drei gegen eine. Entweder sie bemühte sich um Hilfe, oder sie würde das Haus nicht mehr betreten dürfen. Ruby erklärte, sie werde ihren Jungen einfach mitnehmen.
Terrence sagte, er werde nicht mitkommen.
Am nächsten Abend erwartete sie ein Mitarbeiter des Jugendamtes mit vielen Formularen. Es gab bereits ein Gerichtsurteil. Terrence war den Rowlands als Pflegekind zugeteilt worden. Er lebte ja schon seit drei Jahren bei ihnen. Ruby würde ihn erst wieder besuchen dürfen, wenn sie sich einer Entziehungskur unterzogen hatte und sechzig Tage drogenfrei war.
Seitdem waren drei Wochen vergangen.
»Ich will meinen Sohn sehen«, sagte sie. »Er fehlt mir so sehr.«
»Machen Sie eine Entziehungskur?« fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf und schloss die Augen.
»Warum nicht?«
»Ich kriege keinen Platz.«
Ich hatte keine Ahnung, wie eine obdachlose Süchtige einen Platz in einer Entzugsklinik bekommen konnte, aber es war an der Zeit, es herauszufinden. Ich stellte mir Terrence in seinem hübschen, warmen Zimmer vor: Gesund, gut gekleidet, geborgen, sauber und drogenfrei machte er seine Hausaufgaben unter der strengen Aufsicht von Mr. und Mrs. Rowlands, die ihn inzwischen beinahe so liebten wie seine Mutter. Ich sah ihn vor mir, wie er am Frühstückstisch saß und Spanisch-Vokabeln lernte und wie Mr. Rowlands die Zeitung beiseitelegte und ihn abhörte. Terrence war normal und in sich gefestigt, im Gegensatz zu meiner armen Mandantin, die in einer Hölle lebte.
Und ich sollte die Familienzusammenführung ermöglichen.
»Das wird aber eine Weile dauern«, sagte ich - dabei hatte ich keine Ahnung, wie lange irgend etwas dauerte. In einer Stadt, in der fünfhundert Familien auf einen Platz in einer Notunterkunft warteten, konnte es nicht viele freie Plätze in Entzugskliniken geben.
»Sie werden Terrence erst wiedersehen, wenn Sie keine Drogen mehr nehmen«, sagte ich und bemühte mich, nicht allzu selbstgerecht zu klingen.
Sie hatte Tränen in den Augen, sagte aber nichts.
Mir wurde bewusst, wie wenig ich über Sucht wusste. Woher bekam sie ihre Drogen?
Wie viel kosteten sie? Wie viele Portionen konsumierte sie täglich? Wie lange würde es dauern, bis ihr Organismus drogenfrei war? Wie lange würde es dauern, bis das Verlangen nach Drogen verschwunden war? Konnte sie es schaffen, eine Sucht zu überwinden, mit der sie seit über zehn Jahren lebte?
Und was tat die Stadt mit all diesen Crack-Babies?
Keine Papiere, keine Adresse, keine Unterlagen - nur eine herzzerreißende Geschichte. Sie schien ganz zufrieden zu sein, auf meinem Mandantenstuhl zu sitzen, und ich begann mich zu fragen, wie ich sie bitten könnte zu gehen. Der Kaffee war ausgetrunken.
Sofias schrille Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Andere Stimmen bellten Kommandos. Als ich zur Tür stürzte, war mein erster Gedanke, dass ein bewaffneter Verrückter wie Mister hereingekommen war.
Doch es waren andere Bewaffnete. Lieutenant Gasko war wieder da und hatte Unterstützung mitgebracht. Drei uniformierte Polizisten gingen auf Sofia zu, die wie ein Rohrspatz schimpfte, was aber gar nichts nützte. Zwei Männer in Jeans und Sweatshirt warteten auf ihr Stichwort. Mordecai und ich traten gleichzeitig aus unseren Büros.
»Hallo, Mikey!« sagte Gasko zu mir.
»Was soll das hier werden?« brüllte Mordecai, dass die Wände bebten. Einer der Uniformierten griff nach seinem Dienstrevolver.
Gasko ging zu Mordecai. »Eine Durchsuchung«, sagte er und hielt ihm ein paar Papiere hin. »Sind Sie Mr. Green?«
»Allerdings«, sagte Mordecai und riss ihm den Durchsuchungsbefehl aus der Hand.
»Was suchen Sie hier?« schrie ich Gasko an.
»Immer dasselbe«, schrie er zurück. »Geben Sie’s uns, und wir hören sofort auf.«
»Sie ist nicht hier.«
»Was für eine Akte?« fragte Mordecai und sah von dem Durchsuchungsbefehl auf.
»Die über die Zwangsräumung«, sagte ich.
»Ich warte noch auf Ihre Anzeige«, sagte Gasko zu mir. Zwei der uniformierten Polizisten waren Lilly und Blower. »War wohl alles bloß leeres Geschwätz.«
»Raus hier!« schrie Sofia Blower an, der auf ihren Tisch zuging.
Gasko fühlte sich als Herr der Lage.
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