Der Verrat
weiterzuführen. Dann bemerkte sie, dass Kikuko unruhig ihren Haarschmuck befingerte.
»Vielleicht würde Kikuko-chan gern mit meinem Sohn spielen«, sagte sie. »Sollen wir sie ins Kinderzimmer bringen?«
»Eine gute Idee.« Die Stimme der Fürstin klang so unbeteiligt wie immer, doch sie erhob sich und hielt ihrer Tochter die Hand hin. »Komm, Kikuko-chan.«
Auf dem Weg zum Kinderzimmer kamen sie an Sanos Schreibstube, Reikos Lesezimmer und dem Schlafgemach vorüber. An jeder Tür blieb Fürstin Yanagisawa kurz stehen, um einen Blick ins Innere zu werfen, wobei ihre Miene so ausdruckslos blieb wie ihre Blicke. Kikuko ahmte ihre Mutter nach, und wieder überkam Reiko ein Gefühl des Unbehagens. Was Fürstin Yanagisawa tat, war befremdlich und unhöflich, doch Reiko wagte es nicht, sie darauf anzusprechen.
Sie war erleichtert, als sie endlich das Kinderzimmer betraten. Masahiro hatte sein Haus aus Bauklötzen inzwischen abgerissen und sich darangemacht, ein neues Bauwerk zu errichten, wobei O-hana ihm zuschaute.
»Masahiro-chan«, sagte Reiko. »Sieh mal, wer gekommen ist.«
Masahiro schaute zur Tür und stieß einen Freudenschrei aus. Kikuko lächelte, ließ die Hand ihrer Mutter los, eilte zu Masahiro und seinen Bauklötzen und kniete sich neben ihn. O-hana verneigte sich vor Fürstin Yanagisawa, die das Mädchen nur eines kurzen Blickes würdigte und ihr dann keine Beachtung mehr schenkte.
»Lass mich auch mal«, sagte Kikuko und legte unbeholfen ein paar Bauklötze aufeinander.
»Nicht so«, sagte Masahiro. »So!«
Er zeigte Kikuko, wie man es richtig anstellte, und das Mädchen versuchte, es ihm nachzumachen. Der Unterschied zwischen dem klugen und lebhaften Masahiro und der unbeholfenen, begriffsstutzigen Kikuko wurde auf schmerzliche Weise deutlich, doch Fürstin Yanagisawa beobachtete die beiden mit unbeteiligten Blicken. Dennoch befürchtete Reiko, der augenfällige Unterschied zwischen den Kindern könne die Fürstin verärgern, deshalb sagte sie zu ihrem Sohn: »Zeig Kikuko dein anderes Spielzeug, Masahiro-chan.«
Der kleine Junge eilte zu einem Schrank und kam mit geschnitzten Tier- und Soldatenfiguren zurück. Kikuko betrachtete sie mit lebhaftem Interesse. Fürstin Yanagisawa kniete sich hin. Anscheinend gefiel es ihr, die Kinder spielen zu sehen. Reikos innere Anspannung löste sich ein wenig. Nun blieben ihr vorerst die mühseligen Versuche erspart, immer wieder ein Gespräch zu beginnen, außerdem stand sie jetzt nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses der Fürstin. Bald tollten die Kinder fröhlich herum, und ein leises Lächeln erhellte die ernsten Züge Fürstin Yanagisawas.
Eine Stunde verging. Dann sagte die Fürstin zu Reiko: »Jetzt haben wir Eure Gastfreundschaft lange genug in Anspruch genommen. Komm, Kikuko-chan. Es wird Zeit, dass wir gehen.«
Das Mädchen erhob sich gehorsam, sagte artig »Auf Wiedersehen« zu Masahiro und kam zu seiner Mutter.
Reiko führte die beiden in die Empfangshalle, wo Fürstin Yanagisawa in ihre Sandalen schlüpfte und sich den Umhang überstreifte, bevor sie Kikuko in ihre Sachen half.
»Habt Dank für Eure Gastfreundschaft«, sagte die Fürstin und verneigte sich.
»Euer Besuch war mir eine große Ehre«, antwortete Reiko und erwiderte die Geste.
»Ich hoffe, Ihr macht mir recht bald einen Gegenbesuch … und bringt Masahiro mit, damit er wieder mit Kikuko spielen kann.«
»Sehr gern«, sagte Reiko. Zwar hatte sie immer noch Zweifel, ob es klug war, sich mit der Frau des Kammerherrn anzufreunden, doch ihre Zusage zu einem Gegenbesuch war ein Gebot der Höflichkeit.
»Wenn man allein ist … sind die Tage oft dunkel und trist. Ihr und Masahiro-chan … bringt Licht in mein Leben … ich muss Euch für Eure Freundschaft danken.«
Die Pausen zwischen den Sätzen Fürstin Yanagisawas zögerten den Abschied hinaus. Reiko wartete höflich.
»Was den Mord am Erben des Shōgun angeht«, sagte Fürstin Yanagisawa plötzlich, »bitte entschuldigt, wenn ich ganz offen rede, aber … ich weiß, dass Ihr in solchen Fällen bei den Ermittlungen … mit Eurem Gemahl zusammenarbeitet, und ich kenne die Gefahren, die ihn und Euch bedrohen.« Das Gesicht von Reiko abgewandt, dämpfte sie die Stimme zu einem Flüstern. »Ich werde tun, was ich kann, um Euch bei Euren Bemühungen zu unterstützen.«
»Das wäre uns eine unschätzbare Hilfe«, sagte Reiko und versuchte, sich ihr Erstaunen nicht anmerken zu lassen. Es kam völlig unerwartet für sie, dass
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