Der Verrat
war die beste Pistole, die sie je benutzt hatte. Sie hatte zwanzig panzerbrechende Kugeln im Griff plus eine in der Kammer und hatte nur einen halb so starken Rückstoß wie die alte SIG-Pistole. Neben ihrer Waffe trug sie ein abhörsicheres Motorola-Digitalfunkgerät, ein Mobiltelefon und einen BlackBerry. Diese ganze Ausrüstung musste man irgendwo unterbringen, und ein Kleid war dafür einfach nicht geeignet.
Rivera öffnete die breite Eingangstür und trat auf die Terrasse des Dumbarton Mansion hinaus. In ihrer Person waren einige Widersprüche vereint; sie war schön, ohne ihr Äußeres besonders zu betonen, sie war anmutig und gleichzeitig athletisch. Ihr glänzendes schwarzes Haar trug sie fast immer zu einem einfachen Pferdeschwanz zusammengebunden. Von ihrer Herkunft her war sie mit einer makellos glatten Haut gesegnet. Sie war im Dienst nur sehr zurückhaltend geschminkt und bemühte sich generell, ihr Äußeres nicht hervorzuheben. Der Secret Service war immer noch eine Männerdomäne – mit einer extrem schwierigen Aufgabe. Ein Teil dieser Aufgabe war es, gesehen zu werden. Die Leute sollten wissen, dass sie da waren und die Situation jederzeit im Auge behielten. Gleichzeitig galt es, stets mit einer gewissen Zurückhaltung aufzutreten; es hatten immer die Personen im Vordergrund zu stehen, für deren Schutz sie verantwortlich waren.
Sie setzte ihre Sonnenbrille auf, überblickte die Szene von der erhöhten Terrasse aus und sah auf die Uhr; es war fast Viertel nach zwölf Uhr mittags. Sie konnte es kaum erwarten, Alexander und Ross endlich wohlbehalten im Naval Observatory abzuliefern. Dort würde das Sicherheitskommando des Vizepräsidenten den Schutz übernehmen, und sie und ihre Leute konnten sich ein paar Stunden Auszeit gönnen, bevor sie nach St. Louis fliegen würden.
Rivera erblickte den Mann, mit dem sie sprechen wollte, am anderen Ende der Terrasse, und ging auf ihn zu. Man hatte den Agenten eingebläut, stets auf ihre äußere Erscheinung zu achten. Die Kleidung musste sauber und gebügelt sein. Ketchupflecken waren ebenso zu vermeiden wie schmutzige Hemdkragen. Besondere Bedeutung kam dem Schuhwerk zu. Die Agenten mussten oft stundenlang Wache stehen – deshalb waren bequeme Schuhe unerlässlich. Rivera erinnerte sich an einen Ausbilder im Trainingszentrum in Beltsville, Maryland, der die weiblichen Agenten immer wieder darauf hinwies, dass sie keine Schuhe tragen sollten, in denen sie nicht zwei Blocks sprinten konnten. Derselbe Ausbilder riet Frauen grundsätzlich davon ab, Röcke zu tragen. »Wollen Sie, dass man Sie als die Secret-Service-Agentin in Erinnerung behält, die dem Präsidenten das Leben gerettet hat, indem sie einen Attentäter überwältigte?«, pflegte er seine Schülerinnen zu fragen. »Oder wollen Sie als die Frau in die Geschichte eingehen, die der ganzen Welt ihren Slip gezeigt hat, während sie mit dem Attentäter rang?«
Rivera nahm diese Ermahnungen sehr ernst. Deshalb trug sie schwarze Schnürschuhe mit fünf Zentimeter hohen Absätzen und Gummisohle. Sie waren aus Lackleder gefertigt, weil sie es hasste, dauernd Schuhe polieren zu müssen. Durch die Gummisohle waren sie bequem und leise. Letzteres kam Rivera zu Bewusstsein, als sie auf den Kollegen am anderen Ende der Veranda zuging. Er hatte keine Ahnung, dass sich ihm jemand von hinten näherte. Das war ein schlechtes Zeichen – Gummisohlen hin oder her. Ihre Leute pfiffen allmählich auf dem letzten Loch.
Als sie nur noch zwei Meter von ihm entfernt war, beschloss sie, sich einen Spaß mit ihm zu erlauben. Sie streckte einen Finger aus und stieß ihn dem Mann in den Rücken. Matt Cash, der schon neun Jahre beim Secret Service war, schreckte hoch, als hätte ihn jemand aus dem Schlaf gerissen.
»Eine falsche Bewegung, und du bist tot«, sagte Rivera lachend.
Cash wirbelte herum, und sein Gesichtsausdruck zeigte deutlich, dass er das gar nicht lustig fand. »Was soll das?«, knurrte er.
Rivera grinste und zeigte ihre makellosen weißen Zähne.
»Die Medien sind draußen vor der Mauer«, flüsterte Cash.
Sie blickte zu den Übertragungswagen hinüber, die auf der Straße geparkt waren, und zu den Fotografen, die sich auf Leitern postiert hatten, damit sie über die Mauer hinweg ihre Fotos machen konnten. Sie trat vor den Kollegen und blickte zwischen seine Beine hinunter. »Du hast dir doch nicht in die Hose gemacht, oder?«
»Doch«, antwortete er mürrisch. »Gib mir schnell eins von diesen
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