Der Verrat Der Drachen: Roman
sich an die Vorahnung ihres Todes, die er empfunden hatte. Seine Lippen bildeten eine Linie. »Du solltest mit den anderen bei den Baal Zuflucht suchen«, sagte er. »Du bist keine Kriegerin, Mutter; du musst nicht mitkommen.«
»Ich kämpfe auf meine eigene Art.« Ihr Tonfall war scharf. »Ich kann den Verwundeten helfen.«
»Mir wäre es lieber, du würdest hierbleiben.«
»Da bin ich mir sicher, aber ich werde mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, Shaan wiederzusehen. Und ich werde nicht von dir getrennt sein.«
Tallis schnaufte verärgert und schüttelte den Kopf, aber sie beharrte: »Du bist alles, was ich noch habe. Ich werde dich nicht noch einmal verlieren. Und ich muss sie sehen. Du sagtest, dass sie zu der Schlacht kommen wird.«
»Sie wird kommen«, antwortete er trostlos. Er hatte Shaans Präsenz nicht mehr so recht gespürt, seit sie fort war, aber er wusste, dass Shaan da sein würde, wenn es zur Schlacht kam. Hätte er nur gewusst, warum! Er rieb sich mit der Hand die Augen. Der schmerzende, leere Teil von ihm, der litt, wenn sie sich zurückzog, fühlte sich hohl und gebeutelt an.
»Ist es wahr, dass sie zu Azoth gegangen ist?«, fragte Mailun leise. Tallis seufzte. Er wusste, warum Rorc es ihr erzählt hatte, doch er wünschte, er hätte es nicht getan. »Ja«, sagte er.
»Ich kann es kaum glauben.«
»Ich bin sicher, dass Sabut ihr befohlen hat, zu gehen«, sagte er.
»Bist du das?« Unsicherheit lastete auf Mailuns Stimme. »Ich kann mir nicht sicher sein. Es ist doch nicht möglich, dass er sie wieder fortgerufen hat, nicht wahr? Sie gezwungen hat, zu ihm zu gehen? Rorc glaubt, dass es möglich ist.«
»Nein, Mutter.« Ihm wurde übel, wenn er sie so von Shaan reden hörte. »Ich habe sie gesehen, bevor sie gegangen ist; sie ist freiwillig gegangen, nicht auf Azoths Befehl hin. Sie würde uns nicht verraten.«
»Ich glaube auch nicht, dass sie das tun würde« – Mailuns Ton wurde so hart wie seiner –, »aber wir müssen alles in Erwägung ziehen. Wir müssen es wissen, damit wir sie zurückholen und ihr helfen können! Ich kann nicht glauben, dass …« Sie unterbrach sich und schüttelte den Kopf.
Tallis biss die Zähne zusammen. »Dass ich sie habe gehen lassen?«, fragte er. »Ich weiß. Ich wünschte, ich hätte sie aufgehalten, Mutter. Ich verstehe selbst nicht, warum ich es nicht getan habe.«
»Wahrscheinlich waren es die Führer, Sohn. Diese Wüstengötter bringen immer Schmerz. Ich mache dir keine Vorwürfe.«
Doch das tat sie. Er wusste es, spürte es und stimmte ihr sogar zu. Er hatte Shaan gehen sehen, hatte in ihr Herz geblickt und geglaubt, dass sie ihm die Wahrheit sagte. Aber sie hatte schon früher Dinge vor ihm verborgen. Sogar er war sich nicht völlig sicher, dass sie auf Sabuts Befehl zu Azoth gegangen war. Und dann waren da noch die Träume, von denen er ihr erzählt hatte. Aber ihn verraten, sie alle verraten – wie konnte er glauben, dass sie das tun würde?
»Tallis«, sagte Rorc, der aus dem Brunnen hervorkam, »du musst die Drachen rufen. Wir brechen bald auf.« Er trug das Schwert an der Hüfte und eine Kampfweste aus gehärtetem Leder. Sein Haar war offen, ohne Clanzöpfe. Sein Blick ging zu Mailun. »Ich habe gehört, du kommst auch mit.«
»Du weißt, dass ich ihn nicht alleinlassen werde«, sagte sie.
»Nein, das habe ich auch nicht angenommen.« Er sah Tallis an. »Irissa hat auch eine Kampfweste aufgetrieben, allen Bitten ihrer Mutter zum Trotz.«
»Das wusste ich.« Tallis konnte seine Verärgerung nicht verbergen.
»Sie will ihren Bruder rächen«, sagte Mailun.
»Das will ich auch«, antwortete Tallis. »Aber …«
»Sie ist eine fähige Kämpferin, Tallis«, unterbrach seine Mutter ihn. »Sie verdient es, kämpfen zu dürfen.«
»Und wir brauchen jeden, den wir bekommen können«, sagte Rorc. »Außerdem haben Clansfrauen immer an der Seite ihrer Männer gekämpft, wenn sie wollten.«
Tallis schüttelte den Kopf. »Natürlich, aber …« Plötzlich hielt er inne, als ein Energieblitz ihn durchzuckte, nicht schmerzhaft; dazu war er zu vertraut.
»Tallis!« Mailuns Stimme ging in einem Aufbrüllen von Klängen unter, und er spürte kaum, wie Rorc seinen Arm ergriff, als die hohle Leere in ihm sich füllte und vor Leben überquoll und schmerzte.
»Shaan?«, keuchte er laut, und dann im Geiste: Shaan!
Tallis, los! Ihre Stimme war schwach, aber voller Furcht. Ihr müsst jetzt aufbrechen! Er fiel auf die Knie, als ein
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