Der Verrat Der Drachen: Roman
gesehen, was du getan hast«, flüsterte er. »Er hat dich vor Lust schreien hören. Er sieht zu.«
Sie drehte sich um und sah, wie er auf die Wand gegenüber vom Bett deutete. Sie hatte gedacht, die Wand bestünde aus massiven Steinmetzarbeiten, aber sie war keineswegs durchgehend, sondern wies ein wabenartiges Steinmuster auf, so dass es enge Schlitze darin gab. Als sie hinstarrte, sah sie eine Bewegung und ein braunes Auge.
»Er schaut noch immer zu«, sagte Azoth, und die Last seines Gewichts verließ das Bett; seine bloßen Füße machten auf dem glatten Steinboden kaum ein Geräusch, als er davonging.
Alterin starrte wieder das braune Auge, das nicht blinzelte, an. Jetzt verstand sie, was Azoth beabsichtigte. Ihre Kehle schnürte sich zu, und ein Schluchzen entrang sich ihren Lippen, als sie quer durchs Zimmer rannte.
Jared, der Alhanti, starrte sie unheilverkündend an; sein vertrautes Gesicht war noch immer hübsch, aber breiter, die Kiefer kräftiger, die Augen leicht schräg stehend – aber sie sah kein Aufblitzen des Clansmanns, den sie liebte, in ihnen. Sie kämpfte gegen ihre Wut und ihren Kummer an und schob die Finger durch einen der kleinen Schlitze.
»Jared?«, flüsterte sie, aber seine Lippen zogen sich zu einem Zähneblecken zurück, und mit plötzlicher, wilder Schnelligkeit prallte seine Faust gegen die Mauer und ließ sie erzittern. Alterin riss die Hand zurück, entfernte sich aber nicht, als ihr der Staub des beschädigten Steins über die Haut rieselte. Jared knurrte und fauchte sie an wie ein Tier im Käfig; seine Finger versuchten, sie durch die Lücken im Stein zu erreichen. Da er unfähig war, sie zu berühren, brüllte er erneut und schlug wieder auf den Stein ein. Da sie Angst hatte, dass er sich verletzen könnte, wich Alterin zurück und setzte sich aufs Bett. Sie zog das seidene Bettlaken um sich und begann zu zittern. »Muttergeist, hilf mir jetzt«, flüsterte sie und schloss die Augen, während Jared heulte.
Die Abenddämmerung nahte, als Paretim und Fortuse das Dorf am Fuße des Berges erreichten. Es war eine kleine Siedlung, schmutzig und ungepflegt. Die einzige Hauptstraße lag verlassen da, und die Türen der Häuser, die sie säumten, waren fest verriegelt. Wenige Geräusche drangen hinter dem dicken Holz hervor, als ob alle drinnen an den Türen und Fenster lauschten.
Es war anstrengend gewesen, von den Passhöhen hinab bis hierher zu gelangen. Die Landschaft in der Umgebung des Dorfes war steil und rau, mit groben Spindelsträuchern und der zähen Vasskiefer bewachsen, die ihre tentakelgleichen Wurzeln zwischen Staub und Fels ausbreitete und sich an die hohen Klippen klammerte. Drei Nächte hatten sie unter freiem, dunklen Himmel in der Wildnis gelagert, zu den Sternbildern emporgestarrt und versucht, sich an ihre Namen zu erinnern. Sie hatten so viel vergessen, so viel zurückzuerobern.
Paretim besah sich die schlammige Straße und die vernachlässigten Blumenbeete. Er konnte sich an Zeiten erinnern, in denen die Menschen stolzer auf das, was sie hervorbrachten, gewesen waren, dankbarer denen gegenüber, die für sie gesorgt hatten. Wie viele kannten jetzt noch seinen Namen? Er wurde wütend und betrachtete die verriegelten Türen aus zusammengekniffenen Augen.
Ein magerer, gelber Hund, dessen Fell halb von Räude zerfressen war, beobachtete sie misstrauisch hinter einem liegengebliebenen Weinfass hervor. Als Fortuse ihn sah, lächelte sie sofort und ging auf ihn zu, gurrte ihn mit einem kehligen Flüstern an. Mit einem Winseln wandte sich der Hund ab und floh; Paretim lachte über das Schmollen auf dem Gesicht seiner Schwester.
»Sie waren nie gut genug für dich, meine Liebe.« Er legte ihr einen Arm um die Schultern. Sie warf ihr Haar zurück, entzog sich ihm und schritt voran. Paretim lächelte und ließ sie gehen; er wandte seine Aufmerksamkeit stattdessen den geschlossenen Türen zu, suchte nach Spuren derer, die er suchte: Sichtungen, erhaschte Blicke, an die sich jemand erinnerte, irgendetwas. Es hing eine Wolke von Furcht in der Luft, fettig und schwer vor menschlichen Sorgen.
Epherin war hier gewesen. Er konnte es im Wind schmecken, der von den Bergen herabfegte und den Nieselregen brachte, der ihnen ins Gesicht fiel. Epherin war glanzvoll, schön, aber die Menschen hatten sich immer vor ihm gefürchtet, und das aus gutem Grund – er war launisch in seiner Liebe.
»Bruder!« Fortuse war vor ihm stocksteif stehen geblieben, das Gesicht zum Himmel
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