Der Verrat: Thriller (German Edition)
musste.«
»Du hast gesehen, was sie dich hat sehen lassen.« Scarlett leckte noch ein letztes Mal an ihrem Eis, warf es dann auf das Wasser hinaus und sah zu, wie die Möwen sich um die Eiswaffel stritten, die in Stücke zerfiel. »Sie wusste genau, was sie tat, Steph. Ich habe mir nie Illusionen über Joshu gemacht. Schon immer wusste ich, dass er sich nehmen würde, was er kriegen konnte, wenn er dachte, er könnte damit durchkommen. Obwohl wir es nie klar ausgesprochen haben, wussten wir beide, dass unsere Vereinbarung war: Solange er es mir nicht unter die Nase rieb, solange er mich nicht demütigte, hätte ich ihn nie darauf angesprochen. Weil ich tief im Inneren wusste, dass er mich liebte. Leanne kam aus der gleichen Welt wie ich. Sie wusste Bescheid.«
Ich begann ein hässliches Bild zu erkennen, von dessen Existenz ich nichts geahnt hatte. Ich wusste nicht, was mich mehr ärgerte, die Wahrheit hinter dem Spiel, das man mit mir getrieben hatte wie mit einer Figur auf dem Schachbrett, oder dass ich, die sich etwas darauf einbildete, Menschen zu durchschauen, so gründlich getäuscht worden war. »Leanne wusste, dass du es nicht ignorieren konntest, wenn sie es dir sagte und mich in die Aufklärung verwickelte. Dass du Joshu zur Rede stellen musstest.«
Scarlett nickte. »Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen, Steph. Ich glaube, sie dachte nicht, dass ich so weit gehen würde, wie ich ging. Aber ich sah keine andere Möglichkeit, weiterzukommen. Als ihm klar war, dass ich tatsächlich Bescheid wusste, wäre es für ihn nicht mehr nötig gewesen, seinen Harem zu verheimlichen. Ich wäre auf Schritt und Tritt gedemütigt worden. Ich musste ihn rauswerfen.« Sie schob die große Sonnenbrille von ihrem Hut herunter und bedeckte ihre Augen. »Zwischen mir und Leanne herrschte immer eine Art Hassliebe. Als Jugendliche konkurrierten wir um die Aufmerksamkeit der Jungs. Und ich gewann gewöhnlich, weil ich älter und cleverer war. Sie weiß genug, um mich schlechtzumachen, wenn sie boshaft sein will. Das ist der wahre Grund, weshalb ich sie nicht in dem ersten Buch erwähnen wollte. Ich wusste, ich ging damit ein Risiko ein, dass ich sie an meinem Leben teilnehmen ließ. Aber ich dachte, es würde gutgehen. Und das tat es auch, eine Zeitlang.« Sie seufzte. »Dann hat sie Joshu verpfiffen, und ich wusste, da steckte eine Botschaft dahinter.«
»Welche Botschaft?«
»Sie erinnerte mich daran, dass sie ein Geheimnis über mich kannte. Nicht so ausdrücklich, natürlich. Aber es gab diese Botschaft. Und da wusste ich, dass es Zeit für sie war, nach Spanien zu gehen. Wir waren uns beide im Klaren über die Bedingungen der Abmachung. Wenn sie sich daran halten würde, dann würde sie den Lifestyle bekommen, nach dem sie sich immer gesehnt hatte.«
»M-A-D«, sagte ich. Scarlett warf mir einen verwunderten, beleidigten Blick zu. »Mutually Assured Destruction« erklärte ich. »Gegenseitig zugesicherte Zerstörung – das sagte man über das Verhältnis der USA und der UDSSR im Kalten Krieg. Ihre Atombomben bedeuteten, dass beide Seiten erledigt wären, wenn eine von ihnen angriff.« Ich tätschelte ihren Arm. »Damit hatte ich nicht gemeint, dass du verrückt bist.«
Scarlett schien erleichtert und kicherte. Mir war klar, dass sie auf keinen Fall einen Grund haben wollte, sich mit mir zu verkrachen. Jetzt, wo Leanne fort war und Marina bald auch gehen würde, hatte sie ohne mich fast niemanden mehr, dem sie vertrauen konnte. »Das hab ich noch nie gehört. Ich hab gedacht, du wolltest damit sagen, dass ich bekloppt bin. Weißt du, ich hab noch viel zu lernen, bevor ich mit solchen Leuten wie dir gleichauf liegen kann, Steph.« Sie stupste mich leicht mit der Schulter.
»Du machst deine Sache ganz gut.« Ich leckte das letzte Eis aus meiner Waffeltüte, warf sie in die Luft und sah ihr nach, als sie in einer langsamen Spirale hinunterglitt, bis der Wind sie unter die Pier fegte.
»Jedenfalls war mir klar, dass für sie die Zeit gekommen war, Leine zu ziehen, als sie diese Bemerkung während unseres Essens bei der Gedenkfeier machte.«
Ich brauchte keine Erinnerung an Leannes geschmacklosen Ausspruch. »Sie war betrunken.«
»Ja, das war sie. Und sie betrinkt sich ziemlich regelmäßig. Wie die meisten Versagerinnen unserer Familie. Und ich will dieses lose Mundwerk jetzt nicht um mich haben. Wie gesagt, ich halte mich an eine positive Sicht aufs Leben. Ich will nicht, dass sie mich ruiniert. Und Jimmy kommt
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