Der Verrat: Thriller (German Edition)
uns ein.«
»Es tut mir leid, Stephanie«, sagte Vivian. »Ich hätte daran denken sollen.«
»Sie lässt sich zu sehr mitreißen«, kommentierte Abbott. »Im positiven Sinn, meine ich. Wir werden für Speis und Trank sorgen, und mit etwas Glück können wir Ihnen heute Abend auch Ihren Jungen zurückgeben.«
50
D er Kleine war endlich eingeschlafen. Nachdem Pete ihn wegen seines weinerlichen Gejammers geohrfeigt hatte, schluchzte er ein paarmal, bis er endlich begriffen hatte, dass er, je mehr er jammerte, desto mehr geschlagen würde. Er hörte auf zu weinen und krümmte sich wimmernd in der hintersten Ecke des Bettes zusammen. Pete hatte düster und bedrohlich über ihm gestanden und brauchte nicht mal ein Wort zu sagen, um den Jungen mit endloser Furcht zu erfüllen.
Dann war ihm eingefallen, dass der kleine Scheißer vielleicht ins Bett pinkeln würde, deshalb packte er ihn am Arm und zerrte ihn zu dem Gästeklo. Er zog ihm die Hose runter und setzte ihn auf die Toilette. Zuerst schien der Junge nicht mal pinkeln zu können. Doch als Pete sich angewidert umgedreht hatte, begann der Urin herauszuströmen, heiß und stark riechend. Das Kind wischte sich ungeschickt ab und rannte zum Bett zurück, bevor Pete es greifen konnte. Dort kauerte es sich in die Ecke, die großen braunen Augen geweitet und voller Angst.
Pete schloss den Jungen wieder ein, ging die Treppe hinunter und ließ sein iPad eine Zufallsauswahl an Songs von Peter Gabriel abspielen. Er legte sich auf das Sofa und ließ sich von der Musik umspülen wie von einem Fluss. Als »My Body Is a Cage« lief, wurde er munter, setzte sich auf und lauschte darauf, wie die Übergänge der Musik zusammengefügt waren.
Er versuchte herauszufinden, welche Entscheidungen bei der Abmischung des Stücks getroffen worden waren und was er anders gemacht hätte. Als das Stück vorbei war, ging er hinüber zum Gerät und suchte, bis er die Version desselben Stücks von Arcade Fire gefunden hatte. Erneut hörte er aufmerksam zu und überlegte sich, warum er das Original so viel schwächer fand als die Coverversion.
Er hätte es schön gefunden, wenn Stephanie jetzt bei ihm gewesen wäre. Dann hätte er ihr erklären können, warum scheinbar belanglose Entscheidungen so einen großen Unterschied bei einer Aufnahme machen konnten. Doch sie war nicht hier. Das war völlig inakzeptabel.
Er nahm sich ein weiteres Bier aus dem Kühlschrank und schaute nochmals nach dem Jungen. Dieses Mal schlief er auf dem Bett ausgestreckt, den Daumen im Mund, und sein Haar war schweißnass. Pete mochte keine Eindringlinge in seinem Zuhause, doch es war ja nicht für lange. Dann konnte er sich darauf konzentrieren, die Sache mit Stephanie zu klären und seine Welt wieder in ihren natürlichen Zustand versetzen.
Das war das wirklich Wesentliche und nicht dieser kleine Bastard mit seinem leisen Schnarchen und seinen zuckenden Füßen. Die Dinge waren schon viel zu lange aus dem Gleichgewicht geraten. Das musste endlich in Ordnung gebracht werden.
Pete gähnte, als er sich auf den Weg zu seinem Schlafzimmer im Stockwerk darunter machte. Es war keine so schlechte Idee, mal früh schlafen zu gehen. Er hatte in letzter Zeit wenig Schlaf bekommen, und die Band würde morgen eine volle Schicht von ihm erwarten. Er nahm einen weiteren Schluck Bier, setzte sich auf die Bettkante, zog seine Stiefel aus und ließ sich rückwärts auf das Bett fallen.
Bald würde er wieder in England sein, mit Stephanie an seiner Seite. Bald.
51
A ls sie in dem Motel in Corktown, welches als Operationsbasis diente, mit den dortigen FBI-Agenten zusammentrafen, hätte Stephanie gar nicht mehr sagen können, wie viele Stunden sie jetzt schon wach war. Es hatte ein paar Momente während der Fahrt gegeben, in denen sie in surreale Träume abgedriftet war, doch jedes Mal war sie zuckend aufgewacht, bevor echter Tiefschlaf einsetzen konnte. Es war, als würde ihr Gehirn ihr nicht erlauben, abzuschalten, nicht, während die Möglichkeit, Jimmy zu finden, zum Greifen nah erschien. Aber ihr Körper wusste, wie müde sie wirklich war. Ihr linkes Bein schmerzte so intensiv, dass sie die Zähne zusammenbeißen musste.
Vivian McKuras hatte die ganze Fahrt über immer wieder telefoniert. Stephanie hatte angestrengt versucht, zumindest ihren Teil der Gespräche mitzubekommen, doch Vivian hatte sich mit dem Telefon zusammengekauert, und die Fahrgeräusche des Geländewagens waren so laut, dass sie nur hin und wieder mal ein
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