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Der Verrat: Thriller (German Edition)

Der Verrat: Thriller (German Edition)

Titel: Der Verrat: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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und viel sensibler als jeder Fernsehzuschauer oder Leser der Boulevardblätter für möglich gehalten hätte. Zuerst konnte ich es selbst kaum glauben, aber nach und nach musste ich den leisen Verdacht akzeptieren, dass die Scarlett, die die Welt gekannt hatte, zum größten Teil eine so künstliche Kreation war wie Michael Jacksons Gesicht.
    Ich konnte kaum glauben, dass ihr die Täuschung so lange Zeit gelungen war. Es war am siebten oder achten Tag unserer Gespräche, als ich dieses Thema ansprach. »Du bist doch viel klüger, als du dir anmerken lässt«, sagte ich.
    Am späten Nachmittag saßen wir auf den Ledersofas. Wir hatten über die unglückselige zweite Staffel gesprochen, und Scarlett hatte sich offenbar gelangweilt bei meinem Drängen, dass wir über die schrecklichen Dinge reden müssten, die sie zu Danny Williams gesagt hatte. »Hör zu, es ist eben passiert«, sagte sie, richtete sich auf und starrte mich an. »Du musst doch nicht darauf bestehen, dass ich das alles noch mal bespreche. Es ist da auf YouTube – für alle Zeit.«
    »YouTube sagt mir nicht, was dir dabei durch den Sinn ging.«
    Sie wandte den Blick ab. »Was willst du hören? Dass es war, als wäre ich ausgerastet? Dass ich einfach überhaupt nicht wusste, was ich sagte?« Ungeduldig richtete sie sich auf. »Also, ich habe etwas gesagt, das ich überhaupt nicht glaube. Mir ging es schon tagelang schlecht. Aller mögliche Kram kam zusammen. Ich weiß jetzt, dass es so lief, weil ich schwanger und meine Hormone durcheinander waren, aber damals war ich eher noch verblüffter als alle anderen über das, was aus meinem Mund kam.« Sie schniefte. »Geht das so?«
    Und da brach ich alle Regeln und überschritt die Grenzmarke der stillschweigenden Übereinkunft zwischen Ghostwriter und Kunden. Ich bin keine investigative Journalistin. Es ist nicht meine Aufgabe, das zu hinterfragen, was meine Kundin mir sagt. Ich muss das schlucken, was sie sagt, außer wenn es völlig allen allgemein bekannten Fakten widerspricht. Manchmal komme ich mir vor wie ein Python, der sich einem Doppeldeckerbus gegenübersieht, aber Sie wären erstaunt, was die Kunden alles akzeptiert sehen wollen, ohne mit der Wimper zu zucken. Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn ich sehr schonend darauf hinweisen musste, dass die Version meines Kunden sich nicht ganz mit dem deckte, woran der Rest der Welt sich erinnerte, bewegte ich mich auf sehr dünnem Eis. Für den Ghostwriter ist das so, wie wenn andere ein Loch in das Raum-Zeit-Kontinuum reißen. Denn wenn man sie einmal mit einer Lüge konfrontiert hat, ist es kaum zu vermeiden, dass sich die ganze Sache auflöst.
    Aber bei Scarlett konnte ich nicht anders. Ich hatte im Lauf dieser drei Wochen, in denen wir miteinander sprachen, eine Zuneigung zu ihr gefasst. Es gelingt mir meistens, mich mit den Menschen, über die ich schreibe, gutzustehen, aber dieses Mal hatte ich den Verdacht, dass wir tatsächlich echte Freundinnen werden könnten. Wenn es sich so entwickeln würde, dann mussten wir beide aufhören zu heucheln. Natürlich würde ich die Wahrheit nicht niederschreiben. Ich musste sie nur kennen.
    Also sagte ich: »Du bist viel klüger, als du dir anmerken lässt. Es war doch gar nicht spontan oder von den Hormonen ausgelöst, oder?«
    Scarletts langsam auf dem Gesicht erscheinendes Lächeln sagte alles. »Ich weiß nicht, was du meinst«, antwortete sie und zeigte auf mein kleines Aufnahmegerät.
    Aber ich wusste, was sie meinte. Ich unterbreche die Aufnahmen nur ungern. Es kann einen in alle möglichen merkwürdigen Situationen bringen. Ich erinnere mich an den Mann mittleren Alters, der eine Kindheit schrecklichen Missbrauchs durch die Christian Brothers überlebt hatte und der mich bat, das Aufnahmegerät abzuschalten. Woraufhin er gestand, dass seine Ehe nichts als Fassade sei und er eine sexuelle Beziehung mit dem Ortspfarrer hätte. Mit dem gleichen Pfarrer, der eine Kampagne gegen Mitglieder seiner Kirche führte, die Kinder sexuell missbraucht hatten. Das war eine der Gelegenheiten, bei denen ich wünschte, ich hätte eine Zeitmaschine, die mich in die Zeit zurückversetzen würde, als ich das noch nicht wusste.
    Es war also ein großer, vertrauensvoller Schritt, das Gerät abzuschalten. Aber früher oder später würde ich meine Grundsätze hinter mir lassen müssen, wenn ich mit Scarlett tatsächlich Freundschaft schließen wollte.
    Ich schaltete das Aufnahmegerät ab.
    Wir saßen beide einen Moment da und

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