Der Verrat: Thriller (German Edition)
Ihnen gelandet? Wollen Sie damit sagen, dass Scarletts beste Freundin auf der Welt ihre Ghostwriterin war?« Vivian versuchte ihre Skepsis in Gesichtsausdruck und Stimme zu unterdrücken, was aber nicht einfach war. Sich ein emotional so verarmtes Leben vorzustellen, in dem die größte Annäherung an eine beste Freundin die Frau war, die den Auftrag hatte, ihre Kundin der Welt im vorteilhaftesten Licht darzustellen, das war schwierig.
Stephanie zuckte mit den Schultern. »So kann man es auch sagen. Die andere Sichtweise wäre, dass wir vor fünf Jahren, als ich Scarletts erstes Buch schrieb, Freundinnen wurden. Beide hatten wir das nicht erwartet. Aber es passierte und hatte Bestand. Es steckte viel mehr in ihr, als man vermutete. Ich bin nicht stolz darauf, dass die Frau, die ich für die Öffentlichkeit darstellte, nicht die Frau war, die ich kannte. Aber aus vielen verschiedenen Gründen, die meisten davon finanzieller Art, funktionierte das für uns beide. Und als sie wusste, dass sie sterben würde, war ich der Mensch, dem sie ihren Jungen anvertrauen zu können glaubte.« Stephanie blinzelte, um weitere Tränen zu unterdrücken. »Offenbar hat sie sich da sehr getäuscht.«
»Es war nicht Ihre Schuld«, sagte Vivian.
Plötzlich wurde Stephanie von Wut erfasst. »Natürlich war es meine Schuld. Er war in meiner Obhut. Und jetzt ist er das nicht mehr. Scarlett vertraute mir. Jimmy vertraute mir. Ich habe alle verraten. Wenn dem Jungen etwa zustößt, wenn er nicht lebend und wohlauf zu mir zurückkommt …« Ihre Gesichtsmuskeln erschlafften, als ihr diese Möglichkeit bewusst wurde.
»Wir werden ihn finden«, versprach Vivian und hasste sich dafür, dass sie diese falsche Hoffnung schürte. Aber sie musste tun, was sie konnte, um Stephanie weiterhin auf ihrer Seite zu haben. Sie musste zusätzliche Einzelheiten ihrer Geschichte herauskitzeln in der Hoffnung, dass sie einen Grund für den Vorfall finden würde. »Ich akzeptiere, was Sie über Ihre Freundschaft sagen. Offen gestanden, scheint es aus meiner Sicht trotzdem unwahrscheinlich. Wie kamen Sie sich denn so nah, dass Scarlett fand, Sie seien der Mensch, dem sie Jimmy anvertrauen sollte?«
10
G hostwriter sind von Berufs wegen Heuchler. Wir schreiben die Person, die wir entdeckt haben, in die Person um, die die Welt sehen soll. Wir sind die Schönheitschirurgen fürs Image. Wir werden zu Experten für das, was weggelassen werden sollte. Ich frage meine Kunden gewöhnlich, ob ihnen die Vorstellung behagt, dass ihre Mutter oder ihr Kind bestimmte Episoden lesen könnten, die ich als lasziv oder übergriffig empfinde. Und wenn ich zum Beispiel über sexuellen Missbrauch schreibe, ist mir immer bewusst, dass es da draußen irgendwo Dreckskerle gibt, die sich diese Art von Biographie suchen, nur weil sie so etwas aufreizt. Deshalb hüte ich mich immer, ausführliche Beschreibungen oder allzu viele der Details einzubeziehen, die zum Prozess der Verführung und der sexuellen Ausbeutung gehören. Es ist nicht meine Aufgabe, einen Leitfaden für Pädophile zu schreiben.
Selbst mit all der Übung, die ich darin hatte, eine eindrucksvolle Erzählung zu gestalten, die das Rückgrat meiner »Autobiographien« bildete, erwies sich »Goldgräberin« als eine meiner schwierigsten Unternehmungen. Ich glaube, das Problem war, dass Scarlett mir eine Schwierigkeit geboten hatte, auf die ich noch nie gestoßen war. Üblicherweise nehme ich das Material heraus, das die betroffene Person in einem nicht gerade schmeichelhaften Licht zeigt. Als ich zum Beispiel über einen Snooker-Champion schrieb, der erfolgreich gegen seinen Krebs angekämpft hatte, war das Herzstück des Buches die Kraft, die ihm aus seiner liebevollen Ehe erwachsen war. Es bedurfte keiner Einmischung von meiner Seite, um dem Spieler und seinem Agenten klarzumachen, dass sie der Öffentlichkeit keine Lektüre über Prostituierte und Drogen zumuten sollten, aus denen der wirkliche Hintergrund seines Lebens bestand.
Ich bin eine Expertin der Gratwanderung geworden: Es müssen genug Enthüllungen geboten werden, um den Vorabdruck in Zeitungen zu rechtfertigen, aber nicht so viele, dass der Kunde zu einem Geächteten in seinem eigenen Leben wird. Zwar stimmte es, dass das, was ich nicht über Scarlett schrieb, ihr das Leben schwerer machen würde; aber diese Geheimnisse waren nicht schmutzig oder abträglich. Außer ihrer Blindheit in Bezug auf Joshu war Scarlett ja in Wahrheit geschickter, scharfsinniger
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