Der Verrat: Thriller (German Edition)
anders aussehen ließ. Sie schaffte es, den Weg zum Haus heraufzukommen, ohne die Aufmerksamkeit vom Wagen auf sich zu lenken.
Als sie eingetreten war, machte sie kein Geheimnis aus ihrer Neugier. Während ich Tee kochte, schaute sie sich im unteren Stock um, betrachtete die CD-Sammlung, die Bücher und die Bilder an den Wänden. »Schön«, war ihr abschließendes Urteil, während sie zu dem unbehandelten Kiefernholztisch hinüberging, der in der Essecke des offenen Wohnbereichs steht. Sie hinterließ einen starken Duft von Scarlett Smile, dem süßen, blumigen, auf sie zugeschnittenen Aroma, den die Parfümeure für sie kreiert hatten.
»Ein bisschen anders als bei dir.« Ich goss kochendes Wasser in die Becher mit den Teebeuteln und rührte um.
»Ehrlich gesagt, ich hatte keine verdammte Ahnung, als ich in mein Haus einzog. Die halbe Ausstattung habe ich von dem bankrotten alten Knacker bekommen, von dem ich es kaufte. Die andere Hälfte hat Georgie organisiert.« Sie unterdrückte ein Lachen. »Niemand, den ich früher kannte, hatte eine ›Innendekoration‹.« Sie machte das Zeichen für Gänsefüßchen in der Luft. »Man klatschte einfach Farbe an die Wand. Oder holte Tapete vom Laden. Ich lerne also im Lauf der Zeit dazu. Das hier …«, sie wies auf meine zitronengelben Wände, abgebeizten Holzböden mit den blau-weiß gestreiften Juteläufern und Schränken und Regalen aus hellem Holz. »Das gefällt mir. Mit so etwas könnte ich leben. Ich komme gern in die Wohnungen anderer Leute und schau mir an, was sie ausgewählt haben. Ich lerne ständig, Steph. Ich komme langsam hinter Dinge, die für Leute wie dich selbstverständlich sind.«
Ich hatte mir nie wirklich die Zeit genommen zu überlegen, bei wie vielen Dingen Menschen in Scarletts Lage zu kurz kommen. Ich bin ja nicht besonders distinguiert. Mein Vater arbeitet bei einer Versicherung, und meine Mutter ist Sekretärin in einer Grundschule. Aber Scarlett war eines von Thatchers unehelichen Kindern aus der arbeitslosen Unterschicht. Wir anderen hatten zu viel damit zu tun, uns über sie lustig zu machen, sie herablassend zu behandeln oder zu kritisieren, um innehalten und uns fragen zu können, warum die Leute, die plötzlich ins Rampenlicht geschubst wurden, einen so miserablen Geschmack haben. Wenn man sich einmal die Mühe gab, diese Frage zu stellen, war die Antwort unangenehm.
Scarlett durchbrach die ernste Stimmung. »Hast du Kekse? Ich hab ’n Riesenhunger.«
Ich fand die Überreste einer Packung Schokoladenkekse, denen sich Pete am Abend zuvor gewidmet hatte. »Du hast Glück. Normalerweise hab ich keine Kekse da. Wenn ich zu Hause arbeite, ist es zu verlockend.«
»Wo arbeitest du denn?« Sie schaute sich unsicher um, als vermisse sie etwas.
»Vor fünf Jahren habe ich den Dachboden umbauen lassen. Da oben habe ich ein Büro.«
Scarlett nahm die Tasse Tee, die ich ihr anbot, und setzte sich, indem sie die Beine unter den Tisch streckte, als gehöre sie hierher. »Lebst du ganz allein hier?«
»So ziemlich. Mein Freund bleibt oft über Nacht hier, aber wir wohnen nicht zusammen.«
»Warum nicht?« Sie rührte Zucker in ihren Tee und lächelte, um die Frage abzumildern.
»Ich weiß nicht so recht, um ehrlich zu sein«, seufzte ich und dachte darüber nach. »Meine Freiheit ist mir zu lieb, glaube ich. Ich lebe schon lange allein und will sie nicht aufgeben.«
»Hört sich an, als liebtest du ihn nicht«, meinte Scarlett.
Ich lachte verlegen. »Das sagt er auch. Aber es stimmt nicht. Man kann jemanden lieben, ohne dass man jede Minute des Lebens mit ihm zusammen sein will. Wie Joshu mit dir. Er liebt dich, aber es ist ihm auch wichtig, frei zu sein, um sein eigenes Ding durchzuziehen. Ich nehme an, ich bin auch ein bisschen so. Aber mein Freund, Pete, er hätte gern, dass wir zusammenleben und ich meine Arbeit aufgebe, damit ich mich ihm widmen kann. Was ich auf keinen Fall tun will.«
Scarlett zog eine Schnute. »Da hast du allerdings recht. Ich verstehe, was du meinst, dass du deine Bewegungsfreiheit haben willst. Und ich glaube, wenn Joshu vierundzwanzig Stunden am Tag da wäre, würde ich ’nen Koller kriegen. Es wird schon komisch genug werden, wenn das Baby da ist.«
»Wie fühlst du dich damit?«
»Ganz gut. Weißt du, ich hab mein ganzes Leben Leute gesehen, die Mist gebaut haben mit ihren Kindern. Ich bin die größte lebende Expertin für das Wissen, was man nicht mit seinen Kindern machen sollte. Ich werde eine gute
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