Der Verrat
anderes.
Sie trat auf ihn zu und nahm seinenTalisman in die Hand, ganz sanft.
Dort, wo er gelegen hatte, sah sie eine silbrige Narbe auf seiner Brust, die das Netz von Kristallen hinterlassen hatte.
»Tut das weh?«, fragte Mae.
»Ja.«
»Warum trägst du es dann?«
»WeilAlan es will«, fuhr Nick sie an, riss ihr denTalisman aus der Hand, sodass er wieder über die Narbe fiel, und drehte sich um.
»Ich war nicht abgelenkt«, behauptete Mae, »ich habe nur ⦠ähm ⦠an etwas anderes gedacht.«
Sie hatte den ganzenTag an etwas anderes gedacht. Es war ja schön und gut, sich entschlossen zu haben, jemanden zu retten, aber sie hatte keineAhnung, wie sie das anstellen sollte.Alles, was ihr einfiel, klang letztendlich wie die moderneVersion des einsamen Ritters, der sein Pferd sattelte und ausritt, die Prinzessin zu retten â sehr tapfer und spektakulär, aber absolut undurchführbar.
Wäre Mae ein Märchenritter gewesen, hätte ihr ein ganzes Heer zurVerfügung gestanden.
»An was hast du denn gedacht?«
Sie sah Seb und sein tolles Profil vom Beifahrersitz aus an und bekam einenAnflug von Schuldgefühlen. Man sollte so hübsche Profile nicht einfach so ignorieren.
Sie schenkte ihm ihr reizendstes Lächeln. »Armeen.«
»Hm, willst du einer beitreten?«, fragte Seb. »Nicht gerade dieArt von Laufbahn, die ich bei dir vermutet hätte, aber okay.«
»Ich will eines anführen.«
»Das hört sich schon eher nach dir an«, sagte er und lächelte sie von der Seite an.
Wenn man es sich recht überlegte, so hatte sich Seb die ganzeWoche lang ganz fantastisch benommen, dachte Mae. Er hatte versucht, nett zu Jamie zu sein, hatte ihr angeboten, sie nach Hause oder zur Schule oder zu dämonenverseuchtenWeinbergen zu fahren, und hatte keineAnsprüche erhoben oder sie wegen der Chance, die sie ihm geboten hatte, gedrängelt. Er hatte nicht einmal versucht, sie zu küssen.
Er schien nicht einmal verärgert, dass sie ihn auf dem Heimweg von der Schule komplett ignoriert hatte.
Vor ein paar Monaten hatte Mae in einem Pub in der HauptstraÃe einen Kerl getroffen, der von Leuten gesprochen hatte, die einem bei der Lösung von auÃergewöhnlichen Problemen helfen konnten â einen Kerl, der sie direkt zu Nick undAlan geführt hatte. Da drauÃen gab es gewisse Leute, die sich unbemerkt unter die ahnungslose Menge mischten. Diese Leute hattenAntworten und vielleicht konnten sie helfen.
Selbst wenn sie sie vielleicht nicht fand, konnte sie doch eine Pause von ihren Sorgen vertragen. Sie konnte alles brauchen, was sie ein wenig von Nick ablenkte.
»Möchtest du heuteAbend etwas unternehmen?«
Seb blinzelte. »Na ja.Woran hast du denn gedacht?«
MaesTelefon gab einen Laut von sich. Sie nahm es aus derTasche und las eine SMS auf dem Display, die sie fragte: »Wo bist du?«
Die Nachricht war von Nick.
Sie würde ihn zwar retten, aber sie musste nicht jedes Mal springen, wenn er rief. Sie musste nicht ihre gesamte Freizeit darauf verwenden, ihm menschlichesVerhalten beizubringen, sondern brauchte auch etwas Zeit, um selbst menschlich zu handeln. Und sie musste nicht heute mit ihm allein sein, wo er erst gestern Nein zu ihr gesagt hatte.
»Oh«, sagte sie und schaltete dasTelefon aus. »Es ist Freitagabend. Ich dachte, wir könnten tanzen gehen.«
DasTi mepiece war ein angesagter Club, aber er verfügte über ein Untergeschoss, in dem es ruhig genug war, um sich unterhalten zu können. Mae mochte ihn vor allem wegen der Indie-Music, die sie freitags dort spielten. Da Seb keine anderenVorschläge hatte, trafen sie sich in der Little Castle Street und gingen zusammen dorthin.
»Dein T -Shirt ist lustig«, bemerkte Seb abrupt, als sie zur mit feuerroten Lichtern versehenen Bar gingen, in der es grauschwarze Sitzecken gab.
Mae zog an dem eng sitzenden grauen T -Shirt mit derAufschrift: Ich war einmal Schneewittchen, aber ich bin davon abgekommen.
»Das ist ein Zitat von MaeWest«, erklärte sie. Sie berührte ihn amArm, doch Seb zuckte zusammen und zog ihn weg.
»Wer ist MaeWest?«, fragte er.
»Seb?«, fragte sie leise. »Ist alles in Ordnung?«
Seb zögerte und nickte dann. »Ich bin nur ein wenig â¦Â«, begann er rau und räusperte sich dann. »Ich muss aufs Klo!«
»Ãh, okay.«
Seb sah sie wirr an und fügte hinzu:
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