Der Verrat
seine Beute insAuge gefasst hat und sie nicht verschrecken will. Er streckte die Hand aus, als ob er Mae berühren wollte â er hatte sich ein Mal ihr Haar um das Handgelenk gewunden â aber er tat es nicht.
Seine Stimme knisterte wie ein heruntergebranntes Feuer und vereint mit dem Murmeln derWellen klang sie fremder denn je.
»Wenn duAlan glücklich machen kannst, dann gebe ich dir alles, was du willst«, versprach er.
Mae streckte sich etwas in die Höhe. Sie fühlte sich immer besser, wenn sie ein bisschen gröÃer war, und sei es auch nur um einen Zentimeter.
»Du musst mich nicht bestechen, Nick«, erklärte sie. »Ich weiÃ, dass ich dir was schulde. Ich helfe dir gerne.«
Er nickte, doch er dankte ihr nicht. Er begann einfach, in Richtung Kirche zurückzugehen. DerWind schien ebenfalls seine Richtung zu ändern, damit er ihnen immer noch ins Gesicht wehen konnte.
Doch da sie neben einem Jungen herging, der groà und dunkel war und über die Elemente gebieten konnte, war das wohl kein Zufall.
»Wenn du schreckliche Dinge sagst und merkst, dass Menschen sehr negativ darauf reagieren, dann könntest du versuchen, etwas zu erwidern, womit du zu verstehen gibst, dass du es gar nicht so gemeint hast«, rief Mae gegen denWind an.
»Ich meine es immer so«, entgegnete Nick.
»Hm. Okay. Du könntest auch sagen, dass du nicht willst, dass sie das, was du sagst, falsch verstehen.«
»Warum?«
»Weil sich die Leute besser fühlen, wenn sie glauben, du hättest einen Fehler gemacht.Weil Menschen die ganze Zeit irgendwelche idiotischen Dinge sagen, und es ist erlaubt, sie zurückzunehmen, und wenn man das macht, verzeiht jeder fast allen, und die Zivilisation wird aufrechterhalten. Das Schlimmste, was du tun kannst, ist, den Eindruck zu erwecken, als wären dir die anderen Menschen egal.«
Sie waren jetzt abgebogen und liefen nicht mehr am Fluss entlang. DerWind strich über ihnen durch die Bäume, rüttelte an Ãsten und startete von hohen Mauern aus Ãberraschungsangriffe gegen sie.
Nick schien über ihreWorte nachzudenken und einzusehen, dass sie recht hatte. »Okay. Ich kann so tun, als wären sie mir nicht egal.«
»Gut«, sagte Mae. »Wenn du menschlich sein willst, könnte derVersuch, tatsächlich ein wenig mitfühlend zu sein, sehr hilfreich sein.«
Nick sah sie lange nachdenklich an und lächelte dann.
Es war kein schönes Lächeln.
»Ich glaube, du hast mich missverstanden«, sagte er. »Ich will nicht menschlich sein.«
Mae blinzelte.
Als es hinter ihr plötzlich knallte und laut wurde, zuckte sie so heftig zusammen, als hätte jemand an ihrem Ohr ein Gewehr abgefeuert. Doch es war kein Schuss, sondern ein Hund, der sich gegen einen Gartenzaun warf und in tierischerAngst lautstark bellte. Er versuchte, sich auf Nick zu stürzen.
Es war ein groÃesTier â ein deutscher Schäferhund â, das die weiÃen, glänzenden Zähne entblöÃt hatte.Als Nick auf den Hund zuging, verdoppelte er seineAnstrengungen, den Zaun zu durchbrechen. Sein Körper warf sich so heftig gegen das schwarz gestrichene Eisen, dass die Gitterstäbe beimAufprall erbebten.
Nick lehnte sich an dasTor.Aus der Kehle desTieres stieg jetzt ein schreckliches tiefes Knurren, das wie ein zerrissenes Stakkato in der Luft schwebte.
»Tiere merken es«, stellte Nick fest.
In seinen zerschlissenen Jeans und mit den wirren Haaren sah er fast normal aus, und während ihres Spaziergangs hatte Mae ein paar Mal das Gefühl gehabt, es wäre alles wieder so, wie es war, bevor sie dieWahrheit kannte. Doch etwas an ihm war so grundlegend falsch, dassTiere seinen bloÃenAnblick fürchteten und hassten.
»Ich bin kein Mensch«, sagte Nick. »Das war ich nie und das werde ich auch nie sein.Wir funktionieren nicht so wie ihr, wir fühlen und denken nicht das Gleiche, und das will ich auch gar nicht.Warum sollte ich?Was ist an euch Menschen so besonders? Ihr verbringt euer ganzes Leben in dummen emotionalen Kämpfen und dann sterbt ihr. Ihr quält euch gegenseitig und meint es nicht einmal so.«
Er sah beiläufig zu dem Hund hinüber und der Bauch desTieres schlug auf dem Kiesboden auf. Der Hund winselte. Für einen Moment schloss Nick seineAugen.
»Wenn ich jemanden quäle, dann meine ich es auch so.«
Es entstand eine lange Pause, in der man nichts
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