Der Verrat
Beobachter war, ging sie davon aus, dassAlan nicht beabsichtigt hatte, dass es ihm überhaupt auffallen sollte. Sie fragte sich, wie viele kleine nette DingeAlan täglich für irgendwelche Fremden tat, entweder, weil er von Natur aus nett war, oder weil er es sein wollte, da er das Gefühl hatte, derWelt etwas schuldig zu sein â dafür, dass er einen Dämon hineingelassen hatte und ihm klar war, dass er diese Schuld nie zurückzahlen konnte.
»Später habe ich ein paar hässliche Dinge über ihn gehört«, fuhr Seb fort und griff nach der Gangschaltung. »Aber ich bin mir nicht so sicher, ob sie stimmen.«
MaesTelefon klingelte. Sie holte es aus derTasche und musste fast lachen, als auf dem kleinen grünen Display der NameAl an auftauchte. Sie drückte auf die grüneTaste und hielt sich dasTelefon ans Ohr.
»Mae?«, fragteAlan. »Ich tue das nicht gerne, aber ich muss dich um einen Gefallen bitten.«
Mae spürte, dass ihr Herz zu schnell schlug, die Normalität und die Ruhe mit Seb in seinemAuto glitten bereits von ihr ab wie ein schönes Bild, das über dieWirklichkeit gelegt worden war und nun weggezogen wurde.
»Ja, natürlich«, antwortete sie. »Um was geht es denn?«
»Es ist gefährlich«, sagteAlan ernst. Er versuchte nicht, sie zu überreden, und seine Stimme klang nicht besonders schön.
»Du musst lernen, zu akzeptieren, wenn ein Mädchen Ja sagt«, erwiderte Mae. »Wo bist du?«
Er zögerte. »Wenn du kommst, musst du mir aber versprechen, Nick nichts davon zu sagen.«
Nun zögerte Mae ihrerseits, aber sie war neugierig. »Ich verspreche es.«
»Wir treffen uns imWeinberg, im ManstreeVinyard«, sagteAlan und legte auf.
Mae klappte dasTelefon langsam zu und legte es einen Moment lang nachdenklich an die Lippen. Dann wandte sie sich an Seb, der sie ebenfalls ansah, neugieriger als er ohnehin immer war.
»Kannst du mich irgendwo absetzen?«
Sie trafAlan in Manstree Field, da derWeinberg nach fünf Uhr bereits geschlossen war. Seb setzte sie einigermaÃen besorgt ab, nachdem er ihr noch einmal angeboten hatte, sie zu begleiten, wohin sie auch immer gehen mochte. Mae konnte nur hoffen, dass er nicht glaubte, sie würde sich in irgendwelcheWeinberge schleichen, um Drogen zu kaufen.
Sie kannte denWeinberg. Sie war schon auf einigen Sommerausflügen zumTraubenpflücken gewesen, wo sie sich jedes Mal die Nase so rot verbrannt hatte, dass sie zu ihren Haaren passte. Es waren immer lustigeAusflüge gewesen. Sie hatte mit ihren Freundinnen zwischen den kühlen, dichten Pflanzenreihen gestanden, die frisch umgegrabene Erde und dieTrauben gerochen und mit den anderen herumgewitzelt.
Heute sah es ganz genauso aus, die Sonne schien auf die langen grünen Zeilen, die sich den Hang hinaufzogen. In der anderen Richtung erstreckten sich Felder über das weich geschwungene Land, bis sie den dunklen Rand des Haldon Forrest erreichten, der einen Schlussstrich zu ziehen schien. Im Gras von Manstree Field saÃAlan, den Kopf über ein Buch geneigt, während die Sonne rostrote und goldene Reflexe in seinem Haar aufleuchten lieÃ.
»Was liest du denn?«
»AnthonyTrollope, He Knew He was Right «, antworteteAlan.
»Alles klar«, sagte Mae. »Ich bin normalerweise nicht so scharf auf Zeug, das irgendwelche totenWeiÃen vor über hundert Jahren geschrieben haben. Da geht es immer um Männer mit Geldbörsen und Damen, die besinnungslos daniedersinken. Darin sehe ich keinen Sinn.«
»Der Sinn ist, dass es ein zeitloser Klassiker ist«, klärteAlan sie auf. »Und wenn du so weiterredest, musst du das Riechsalz holen, weil ich nämlich in Ohnmacht fallen könnte.«
Mae setzte sich im Lotussitz vor ihm ins Gras undAlan las amüsiert dieAufschrift auf ihrem T -Shirt.
»Ja, aber ich halte trotzdem nichts von toten Kerlen«, sagte Mae beharrlich. »Die hatten damals etwas zu sagen. Heute ist meine Zeit.«
Alan klappte das Buch zu und sagte: »Ich will, dass du für mich einen Dämon herbeitanzt.«
EinenAugenblick lang sagte er nichts weiter, sondern steckte nur das Buch in seine zerschlisseneTasche und nahm einige Schutzamulette heraus. Es waren Steine mit merkwürdigen Linien, kleine hölzerne Frauenstatuetten, glitzernde Juwelenketten, zusammengeknüpft mit Symbolen, die Mae nicht kannte, und ein verzauberter Dolch, den sie
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