Der verruchte Spion
denkt Ihr jetzt?«
Liverpool sah sauer aus. »Ich sehe keinen Ausweg.«
»Was ist mit Derryton?« Nathaniel wirkte besorgt. Auch Willa fing jetzt an, sich Sorgen zu machen. Lord Liverpool machte nicht gerade den Eindruck, als hielte er die Sache auch nur im Geringsten für amüsant.
»Ich verstehe nur nicht, was das alles soll«, protestierte Willa. »Schließlich hat das Quatre Royal zu Zeiten meines Großvaters aufgehört zu existieren.«
»Ja, natürlich«, stimmte Myrtle ein. »Das weiß doch jeder.«
»Also gut. Wenn das also allgemein bekannt ist …« Nathaniel spreizte hilflos die Hände.
Liverpool war nicht zufrieden. »In diesem Buch wird behauptet, die Royal Four wären ausgestorben? Seid Ihr sicher?«
»Nun, ja. Im letzten Abschnitt heißt es, dass keiner der vier einen angemessenen Nachfolger hatte, und dass sie die Last der Verantwortung nicht auf ›schwache, schmale Schultern‹ übertragen wollten.«
Willas Kopf schmerzte. Sie hatte seit einer halben Stunde immer wieder für sie aus dem Buch zitiert. »Wollt Ihr es nicht einfach selbst lesen?«
Nathaniel richtete sich auf. »Es ist hier? In Reardon House?«
Willa nickte. »Es ist im Regal in meinem Zimmer.« Sie schaute Myrtle an. »Ist es doch, oder?«
Myrtle dachte nach. »Habe ich es dir schon zurückgegeben? Ich kann mich nicht erinnern.«
Nathaniel scheuchte sie beide aus dem Raum. »Holt es jetzt. Alle beide!«
»Wartet!« Liverpool wandte sich an Willa. »Woher habt Ihr es?«
Willa blinzelte. »Es war eines der Bücher meiner Eltern.«
»Und die sind beide tot.« Liverpool blickte finster. »Verdammt. Wir werden es also nie erfahren.«
Willa wollte noch etwas sagen, aber Liverpool gebot ihr abrupt zu schweigen. »Geht jetzt.«
Als beide Frauen den Raum verlassen hatten, ließ sich Liverpool gehen. Nathaniel hatte es schon lange erwartet. »Es ist bisher immer nur mündlich überliefert worden! So sind die Regeln! Welcher verdammte Idiot hat die Taten der Royal Four zu Papier gebracht?«
»Einer mit einem schrecklichen Nachfolger, nehme ich an.« Nathaniel zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich hatte er Angst, dass nach seinem Tod alles verloren wäre.«
Liverpool schauderte. »Geht und holt das Buch, bevor mir eine Ader platzt.«
Nathaniel lachte nicht. Er war sich sehr sicher, dass Liverpool keinen Witz machte. Er nickte und verließ den Raum.
Die Schlafzimmer von Willa und ihm waren im rückwärtigen Flügel des Hauses, denn er hatte vermutet, dass ihr der Blick in den Garten gefallen würde. Er schlenderte zu ihren Zimmern. Er hatte es nicht eilig, Liverpool wieder gegen überzutreten. Der Bruch der Geheimhaltung war tragisch, und Nathaniel vermutete, dass er umfassender war, als sie im Augenblick erkannten, aber sein Herz trug Flügel.
Sie gehört mir. Ich behalte sie …
Ein mächtiges Poltern erklang und ein Schrei, der schnell endete.
»Willa!« Er rannte zu ihren Schlafzimmer, aber die Tür war abgeschlossen. »Willa? Ist alles in Ordnung?«
27. Kapitel
W illa starrte auf den Lauf der Pistole in der Hand des Fremden. Myrtle lag, wohin sie gestürzt war, als der Eindringling sie zu Boden gestoßen hatte. Er hatte der Frau die Waffe heftig gegen die Schläfe gestoßen und richtete den Lauf nun auf Willas Herz.
»Los, sagt etwas«, flüsterte der Mann. »Sagt, Ihr hättet eine Maus gesehen.«
Willa versuchte zu schlucken, aber ihre Kehle war staubtrocken. Sie räusperte sich. »Es ist alles in Ordnung, Nathaniel«, rief sie laut. »Da war nur eine Maus.«
Sie hörte ein erleichtertes Glucksen von der anderen Seite der Tür. »Wirklich? Was denn für eine?«
Willas Blick klebte an der Waffe. Sie durfte sich nicht verraten. »Woher soll ich das wissen? Ich hasse eklige, kleine, fellige Viecher!«
Eine Weile war es still. »Ah, ja.«
Bitte, Nathaniel, bitte hör mir zu!
»Wenn bei dir alles in Ordnung ist, dann gehe ich jetzt in meinen Klub«, sagte Nathaniel unbekümmert. »Warte mit dem Essen nicht auf mich.«
»Gut, Nathaniel.«
Sie hörte, wie die Schritte sich von der Tür entfernten, und schloss die Augen. Sie hatte nicht gewusst, wie er auf ihr Zeichen reagieren würde. Er hätte durch die Tür brechen können, um dann von einer Kugel erwischt zu werden.
Der Eindringling grinste sie schmierig über den Lauf der Pistole an. Ihn eine Maus zu nennen, war eine Beleidigung
für alle Nagetiere, entschied Willa. Doch man würde den abstoßenden jungen Mann als gut aussehend bezeichnen, wenn er nur ein
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