Der Verschollene
nicht gar zu wählerisch waren. Er wollte ja gern, wenn es sein mußte, Geschäfsdiener werden, aber schließlich war es ja gar nicht ausgeschlossen, daß er auch für reine Büroar- beit aufgenommen werden konnte und einstmals als Bü- robeamter an seinem Schreibtisch sitzen und ohne Sor- gen ein Weilchen lang aus dem offenen Fenster schauen würde wie jener Beamte, den er heute früh beim Durch- marsch durch die Höfe gesehen hatte. Beruhigend fiel ihm ein, als er die Augen schloß, daß er doch jung war und daß Delamarche ihn doch einmal freigeben würde; dieser Haushalt sah ja wirklich nicht danach aus, als sei er für die Ewigkeit gemacht. Wenn aber Karl einmal einen solchen Posten in einem Büro hätte, dann wollte er sich mit nichts anderem beschäfigen als mit seinen Bü- roarbeiten und nicht die Kräfe zersplittern wie der Stu- dent. Wenn es nötig sein sollte, wollte er auch die Nacht fürs Büro verwenden, was man ja im Beginn bei seiner geringen kaufmännischen Vorbildung sowieso von ihm verlangen würde. Er wollte nur an das Interesse des Ge- schäfes denken, dem er zu dienen hätte, und allen Ar- beiten sich unterziehen, selbst solchen, die andere Büro- beamte als ihrer nicht würdig zurückweisen würden. Die guten Vorsätze drängten sich in seinem Kopf, als stehe sein künfiger Chef vor dem Kanapee und lese sie von seinem Gesicht ab.
In solchen Gedanken schlief Karl ein und nur im er- sten Halbschlaf störte ihn noch ein gewaltiges Seufzen Bruneldas, die scheinbar von schweren Träumen geplagt sich auf ihrem Lager wälzte.
„Auf! Auf!" rief Robinson …
„Auf! Auf!" rief Robinson, kaum daß Karl früh die Au- gen öffnete. Der Türvorhang war noch nicht weggezo- gen, aber man merkte an dem durch die Lücken einfal- lenden gleichmäßigen Sonnenlicht, wie spät am Vormit- tag es schon war. Robinson lief eilfertig mit besorgten Blicken hin und her, bald trug er ein Handtuch, bald einen Wasserkübel, bald Wäsche- und Kleidungsstücke und immer wenn er an Karl vorüberkam, suchte er ihn durch Kopfnicken zum Aufstehn aufzumuntern und zeigte durch Hochheben dessen was er gerade in der Hand hielt, wie er sich heute noch zum letzten mal für Karl plage, der natürlich am ersten Morgen von den Einzelheiten des Dienstes nichts verstehen konnte.
Aber bald sah Karl, wen Robinson eigentlich bediente. In einem durch zwei Kästen vom übrigen Zimmer abgetrennten Raum, den Karl bisher noch nicht gesehen hatte, fand eine große Waschung statt. Man sah den Kopf Bruneldas, den freien Hals – das Haar war gerade ins Gesicht geschlagen – und den Ansatz ihres Nackens über den Kasten ragen und die hie und da gehobene Hand des Delamarche hielt einen weit herumspritzen- den Badeschwamm, mit dem Brunelda gewaschen und gerieben wurde. Man hörte die kurzen Befehle des Dela- marche die er dem Robinson erteilte, der nicht durch den jetzt verstellten eigentlichen Zugang des Raumes die Dinge reichte, sondern auf eine kleine Lücke zwischen einem Kasten und einer spanischen Wand angewiesen war, wobei er überdies bei jeder Handreichung den Arm weit ausstrecken und das Gesicht abgewendet halten mußte. „Das Handtuch! Das Handtuch", rief Dela- marche. Und kaum erschrak Robinson, der gerade unter dem Tisch etwas anderes suchte, über diesen Aufrag und zog den Kopf unter dem Tisch hervor, hieß es schon: „Wo bleibt das Wasser, zum Teufel", und über dem Kasten erschien hochgereckt das wütende Gesicht des Delamarche. Alles was man sonst nach Karls Mei- nung zum Waschen und Anziehn nur einmal brauchte, wurde hier in jeder möglichen Reihenfolge viele Male verlangt und gebracht. Auf einem kleinen elektrischen Ofen stand immer ein Kübel mit Wasser zum Wärmen und immer wieder trug Robinson die schwere Last zwi- schen den weit auseinandergestellten Beinen zum Waschraum hin. Bei der Fülle seiner Arbeit war es zu verstehn, wenn er sich nicht immer genau an die Befehle hielt und einmal, als wieder ein Handtuch verlangt wur- de einfach ein Hemd von der großen Schlafstätte in der Zimmermitte nahm und in einem großen Knäuel über die Kästen hinüberwarf.
Aber auch Delamarche hatte schwere Arbeit und war vielleicht nur deshalb gegen Robinson so gereizt – in seiner Gereiztheit übersah er Karl glattwegs – weil er selbst Brunelda nicht zufrieden stellen konnte. „Ach", schrie sie auf und selbst der sonst unbeteiligte Karl zuck- te zusammen, „wie Du mir weh tust! Geh weg! Ich wasch mich lieber selbst, statt
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