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Der Verschollene

Der Verschollene

Titel: Der Verschollene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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so zu leiden! Jetzt kann ich schon wieder den Arm nicht heben. Mir ist ganz übel wie Du mich drückst. Auf dem Rücken muß ich lauter blaue Flecke haben. Natürlich, Du wirst es mir nicht sagen. Warte, ich werde mich von Robinson anschauen lassen oder von unserem Kleinen. Nein, ich tu es ja nicht, aber sei nur ein wenig zarter. Nimm Rücksicht, Delamarche, aber das kann ich jeden Morgen wiederho- len, Du nimmst und nimmst keine Rücksicht. Robin- son", rief sie dann plötzlich und schwenkte ein Spitzen- höschen über ihrem Kopf, „komm mir zur Hilfe, schau wie ich leide, diese Tortur nennt er Waschen, dieser De- lamarche. Robinson, Robinson, wo bleibst Du, hast auch Du kein Herz?" Karl machte schweigend dem Ro- binson ein Zeichen mit dem Finger, daß er doch hinge- hen möge, aber Robinson schüttelte mit gesenkten Au- gen überlegen den Kopf, er wußte es besser. „Was fällt Dir ein?" sagte Robinson zu Karls Ohr gebeugt, „das ist nicht so gemeint. Nur einmal bin ich hingegangen und nicht wieder. Sie haben mich damals beide gepackt und in die Wanne getaucht, daß ich fast ertrunken wäre. Und tagelang hat mir die Brunelda vorgeworfen, daß ich schamlos bin und immer wieder hat sie gesagt: ‚Jetzt warst Du aber schon lange nicht im Bad bei mir' oder ‚wann wirst Du mich denn wieder im Bade anschauen kommen?' Erst bis ich ihr einigemal auf den Knien abgebeten habe, hat sie aufgehört. Das werde ich nicht vergessen." Und während Robinson das erzählte, rief Brunelda immer wieder: „Robinson! Robinson! Wo bleibt denn dieser Robinson!"
       Trotzdem aber niemand ihr zur Hilfe kam und nicht einmal eine Antwort erfolgte – Robinson hatte sich zu Karl gesetzt und beide sahen schweigend zu den Kästen hin, über denen hie und da die Köpfe Bruneldas oder Delamarches erschienen – trotzdem hörte Brunelda nicht auf laut über Delamarche Klage zu führen. „Aber Delamarche", rief sie, „jetzt spüre ich ja wieder gar nicht, daß Du mich wäschst. Wo hast Du den Schwamm? Also greif doch zu! Wenn ich mich nur bük- ken, wenn ich mich nur bewegen könnte! Ich wollte Dir schon zeigen, wie man wäscht. Wo sind die Mädchenzei- ten, als ich dort drüben auf dem Gut der Eltern jeden Morgen im Kolorado schwamm, die beweglichste von allen meinen Freundinnen. Und jetzt! Wann wirst Du denn lernen mich zu waschen, Delamarche, Du schwenkst den Schwamm herum, strengst Dich an und ich spür nichts. Wenn ich sagte, daß Du mich nicht wund drücken sollst, so meinte ich doch nicht, daß ich da stehen und mich erkälten will. Daß ich aus der Wanne spring und weglaufe so wie ich bin."
       Aber dann führte sie diese Drohung nicht aus – was sie ja auch an und für sich gar nicht imstande gewesen wäre – Delamarche schien sie aus Furcht sie könnte sich erkäl- ten, erfaßt und in die Wanne gedrückt zu haben, denn mächtig klatschte es ins Wasser.
       „Das kannst Du Delamarche", sagte Brunelda ein we- nig leiser, „schmeicheln und immer wieder schmeicheln wenn Du etwas schlecht gemacht hast." Dann war es ein Weilchen still. „Jetzt küßt er sie", sagte Robinson und hob die Augenbrauen.
       „Was kommt jetzt für eine Arbeit?" fragte Karl. Da er sich nun einmal entschlossen hatte, hier zu bleiben, wollte er auch gleich seinen Dienst versehn. Er ließ Ro- binson, der nicht antwortete allein auf dem Kanapee und begann das große von der Last der Schläfer während der langen Nacht noch immer zusammengepreßte Lager auseinanderzuwerfen, um dann jedes einzelne Stück die- ser Masse ordentlich zusammenzulegen, was wohl schon seit Wochen nicht geschehen war.
       „Schau nach, Delamarche", sagte da Brunelda, „ich glaube, sie zerwerfen unser Bett. An alles muß man den- ken, niemals hat man Ruhe. Du mußt gegen die zwei strenger sein, sie machen sonst, was sie wollen." „Das ist gewiß der Kleine mit seinem verdammten Diensteifer", rief Delamarche und wollte wahrscheinlich aus dem Waschraum hervorstürzen, Karl warf schon alles aus der Hand, aber glücklicherweise sagte Brunelda: „Nicht weggehn Delamarche, nicht weggehn. Ach, wie ist das Wasser heiß, man wird so müde. Bleib bei mir Dela- marche." Erst jetzt merkte Karl eigentlich, wie der Was- serdampf hinter den Kästen unauförlich emporstieg.
       Robinson legte erschrocken die Hand an die Wange, als habe Karl etwas Schlimmes angerichtet. „Alles in dem gleichen Zustand lassen, in dem es war", erklang die Stimme des Delamarche, „wißt Ihr denn nicht,

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