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Der Verschollene

Der Verschollene

Titel: Der Verschollene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Onkel ohne wei- ters sagen, denn nach seinem Grundsatz würde der On- kel auch das Urteil des Neffen über ihn gerne und ruhig anhören. Überdies war dieser Grundsatz vielleicht das einzige, was Karl an seinem Onkel nicht gefiel und selbst dieses Nichtgefallen war nicht unbedingt.
       Plötzlich hörte die Wand an der einen Gangseite auf und ein eiskaltes marmornes Geländer trat an ihre Stelle. Karl stellte die Kerze neben sich und beugte sich vor- sichtig hinüber. Dunkle Leere wehte ihm entgegen. Wenn das die Haupthalle des Hauses war – im Schimmer der Kerze erschien ein Stück einer gewölbeartig geführ- ten Decke – warum war man nicht durch diese Halle eingetreten? Wozu diente nur dieser große tiefe Raum? Man stand ja hier oben wie auf der Gallerie einer Kirche. Karl bedauerte fast, nicht bis morgen in diesem Hause bleiben zu können, er hätte gern bei Tageslicht von Herrn Pollunder sich überall herumführen und über al- les unterrichten lassen.
       Das Geländer war übrigens nicht lang und bald wurde Karl wieder vom geschlossenen Gang aufgenommen. Bei einer plötzlichen Wendung des Ganges stieß Karl mit ganzer Wucht an die Mauer und nur die ununterbroche- ne Sorgfalt mit der er die Kerze krampfaf hielt, be- wahrte sie glücklicherweise vor dem Fallen und Auslö- schen. Da der Gang kein Ende nehmen wollte, nirgends ein Fenster einen Ausblick gab, weder in der Höhe noch in der Tiefe sich etwas rührte, dachte Karl schon daran, er gehe immerfort im gleichen Kreisgang in der Runde und hofe schon, die offene Türe seines Zimmers viel- leicht wieder zu finden, aber weder sie noch das Gelän- der kehrte wieder. Bis jetzt hatte sich Karl von lautem Rufen zurückgehalten, denn er wollte in einem fremden Haus zu so später Stunde keinen Lärm machen, aber jetzt sah er ein, daß es in diesem unbeleuchteten Hause kein Unrecht war und machte sich gerade daran, nach beiden Seiten des Ganges ein lautes Halloh zu schreien, als er in der Richtung aus der er gekommen war, ein kleines sich näherndes Licht bemerkte. Jetzt konnte er erst die Länge des geraden Ganges abschätzen, das Haus war eine Festung, keine Villa. Karls Freude über dieses rettende Licht war so groß, daß er alle Vorsicht vergaß, und darauf zulief, schon bei den ersten Sprüngen löschte seine Kerze aus. Er achtete nicht darauf, denn er brauch- te sie nicht mehr, hier kam ihm ein alter Diener mit einer Laterne entgegen, der ihm den richtigen Weg schon zei- gen würde.
    „Wer sind Sie?" fragte der Diener und hielt Karl die Laterne ans Gesicht, wodurch er gleichzeitig sein eigenes beleuchtete. Sein Gesicht erschien etwas steif durch ei- nen großen weißen Vollbart der erst auf der Brust in seidenartige Ringel ausgieng. Es muß ein treuer Diener sein, dem man das Tragen eines solchen Bartes erlaubt, dachte Karl und sah diesen Bart unverwandt der Länge und Breite nach an, ohne sich dadurch behindert zu füh- len, daß er selbst beobachtet wurde. Im übrigen antwor- tete er sofort, daß er der Gast des Herrn Pollunder sei, aus seinem Zimmer in das Speisezimmer gehen wolle und es nicht finden könne. „Ach so", sagte der Diener, wir haben das elektrische Licht noch nicht eingeführt." Ich weiß", sagte Karl. „Wollen Sie sich nicht Ihre Kerze an meiner Lampe anzünden?" fragte der Diener. Bitte", sagte Karl und tat es. „Es zieht hier so auf den Gängen", sagte der Diener, „die Kerze löscht leicht aus, darum habe ich eine Laterne." „Ja eine Laterne ist viel praktischer", sagte Karl. „Sie sind auch schon von der Kerze ganz betropf", sagte der Diener und leuchtete mit der Kerze Karls Anzug ab. „Das habe ich ja gar nicht bemerkt", rief Karl und es tat ihm sehr leid, da es ein schwarzer Anzug war, von dem der Onkel gesagt hatte, er passe ihm am besten von allen. Die Rauferei mit Klara dürfe dem Anzug auch nicht genützt haben, erin- nerte er sich jetzt. Der Diener war gefällig genug, den Anzug zu reinigen so gut es in der Eile gieng; immer wieder drehte sich Karl vor ihm herum und zeigte ihm noch hier und dort einen Flecken, den der Diener folg- sam entfernte. „Warum zieht es denn hier eigentlich so?" fragte Karl, als sie schon weitergiengen. „Es ist hier eben noch viel zu bauen", sagte der Diener, „man hat zwar mit dem Umbau schon angefangen, aber es geht sehr langsam. Jetzt streiken auch noch die Bauarbeiter wie Sie vielleicht wissen. Man hat viel Ärger mit so ei- nem Bau. Jetzt sind da paar große Durchbrüche gemacht

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