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Der Verschollene

Der Verschollene

Titel: Der Verschollene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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fragte so leise, daß es, wenn man trotz allem nebenan doch schlief, niemanden hätte wek- ken können: „Wünschen Sie etwas?" Sofort und ebenso leise kam die Antwort: „Möchten Sie nicht die Tür öff- nen? Der Schlüssel steckt auf Ihrer Seite." „Bitte", sagte Karl, „ich muß mich nur zuerst anziehn." Es gab eine kleine Pause, dann hieß es: „Das ist nicht nötig. Machen Sie auf und legen Sie sich ins Bett, ich werde ein wenig warten." „Gut", sagte Karl und führte es auch so aus, nur drehte er außerdem noch das elektrische Licht auf. „Ich liege schon", sagte er dann etwas lauter. Da trat auch schon aus ihrem dunklen Zimmer die kleine Schreibmaschinistin, genau so angezogen wie unten im Bureau, sie hatte wohl die ganze Zeit über nicht daran gedacht schlafen zu gehn.
       „Entschuldigen Sie vielmals", sagte sie und stand ein wenig gebückt vor Karls Lager, „und verraten Sie mich bitte nicht. Ich will Sie auch nicht lange stören, ich weiß, daß Sie totmüde sind." „Es ist nicht so arg", sagte Karl, „aber es wäre vielleicht doch besser gewesen, ich hätte mich angezogen." Er mußte ausgestreckt daliegen, um bis an den Hals zugedeckt sein zu können, denn er besaß kein Nachthemd. „Ich bleibe ja nur einen Augenblick", sagte sie und griff nach einem Sessel, „kann ich mich zum Kanapee setzen?" Karl nickte. Da setzte sie sich so eng zum Kanapee, daß Karl an die Mauer rücken mußte, um zu ihr aufschauen zu können. Sie hatte ein rundes gleichmäßiges Gesicht, nur die Stirn war ungewöhnlich hoch, aber das konnte auch vielleicht nur an der Frisur liegen, die ihr nicht recht paßte. Ihr Anzug war sehr rein und sorgfältig. In der linken Hand quetschte sie ein Ta- schentuch.
       „Werden Sie lange hier bleiben?" fragte sie. „Es ist noch nicht ganz bestimmt", antwortete Karl, „aber ich denke, ich werde bleiben." „Das wäre nämlich sehr gut", sagte sie und fuhr mit dem Taschentuch über ihr Gesicht, „ich bin hier nämlich so allein." „Das wundert mich", sagte Karl, „die Frau Oberköchin ist doch sehr freundlich zu Ihnen. Sie behandelt Sie gar nicht wie eine Angestellte. Ich dachte schon, Sie wären verwandt." Oh nein", sagte sie, „ich heiße Terese Berchtold, ich bin aus Pommern." Auch Karl stellte sich vor. Dar- aufin sah sie ihn zum erstenmal voll an, als sei er ihr durch die Namensnennung ein wenig fremder gewor- den. Sie schwiegen ein Weilchen. Dann sagte sie: „Sie dürfen nicht glauben, daß ich undankbar bin. Ohne die Frau Oberköchin stünde es ja mit mir viel schlechter. Ich war früher Küchenmädchen hier im Hotel und schon in großer Gefahr entlassen zu werden, denn ich konnte die schwere Arbeit nicht leisten. Man stellt hier sehr große Ansprüche. Vor einem Monat ist ein Küchen- mädchen nur vor Überanstrengung ohnmächtig gewor- den und vierzehn Tage im Krankenhaus gelegen. Und ich bin nicht sehr stark, ich habe früher viel zu leiden gehabt und bin dadurch in der Entwicklung ein wenig zurückgeblieben, Sie würden wohl gar nicht sagen, daß ich schon achtzehn Jahre alt bin. Aber jetzt werde ich schon stärker." „Der Dienst hier muß wirklich sehr an- strengend sein", sagte Karl. „Unten habe ich jetzt einen Lifjungen stehend schlafen gesehn." „Dabei haben es die Lifjungen noch am besten", sagte sie, „die verdienen ihr schönes Geld an Trinkgeldern und müssen sich schließlich doch bei weitem nicht so plagen wie die Leu- te in der Küche. Aber da habe ich wirklich einmal Glück gehabt, die Frau Oberköchin hat einmal ein Mädchen gebraucht um die Servietten für ein Bankett herzurich- ten, hat zu uns Küchenmädchen heruntergeschickt, es gibt hier an fünfzig solcher Mädchen, ich war gerade bei der Hand und habe sie sehr zufriedengestellt, denn im Aufauen der Servietten habe ich mich immer ausge- kannt. Und so hat sie mich von da an in ihrer Nähe behalten und allmählich zu ihrer Sekretärin ausgebildet. Dabei habe ich sehr viel gelernt." „Gibt es denn da so- viel zu schreiben?" fragte Karl. „Ach sehr viel", antwor- tete sie, „das können Sie sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen. Sie haben doch gesehn, daß ich heute bis halb zwölf gearbeitet habe und heute ist kein besonderer Tag. Allerdings schreibe ich nicht immerfort, sondern habe auch viele Besorgungen in der Stadt zu machen." „Wie heißt denn die Stadt?" fragte Karl. „Das wissen Sie nicht?" sagte sie, „Ramses." „Ist es eine große Stadt?" fragte Karl. „Sehr groß",

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