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Der Verschollene

Der Verschollene

Titel: Der Verschollene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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diesen Umständen würde ihm die Besichti- gung der Stadt gar kein Vergnügen machen. Nicht ein- mal zu einem kurzen Weg, zu dem ihn Terese auffor- derte konnte er sich entschließen. Immer schwebte ihm der Gedanke daran vor Augen, es könne schließlich mit ihm, wenn er nicht fleißig sei, soweit kommen wie mit Delamarche und Robinson.
       Beim Hotelschneider wurde ihm die Lifjungenuni- form anprobiert, die äußerlich sehr prächtig mit Gold- knöpfen und Goldschnüren ausgestattet war, bei deren Anziehn es Karl aber doch ein wenig schauderte, denn besonders unter den Achseln war das Röckchen kalt, hart und dabei unaustrockbar naß von dem Schweiß der Lifjungen, die es vor ihm getragen hatten. Die Uniform mußte auch vor allem über der Brust eigens für Karl erweitert werden, denn keine der zehn vorliegenden wollte auch nur beiläufig passen. Trotz dieser Näharbeit die hier notwendig war, und trotzdem der Meister sehr peinlich schien – zweimal flog die bereits abgelieferte Uniform aus seiner Hand in die Werkstatt zurück – war alles in kaum fünf Minuten erledigt und Karl verließ das Atelier schon als Lifjunge mit anliegenden Hosen und einem trotz der bestimmten gegenteiligen Zusicherung des Meisters sehr beengenden Jäckchen, das immer wie- der zu Athemübungen verlockte, da man sehen wollte, ob das Athmen noch immer möglich war.
       Dann meldete er sich bei jenem Oberkellner unter dessen Befehl er stehen sollte, einem schlanken schönen Mann mit großer Nase, der wohl schon in den vierziger Jahren stehen konnte. Er hatte keine Zeit sich auch nur auf das geringste Gespräch einzulassen und läutete bloß einen Lifjungen herbei, zufällig gerade jenen, den Karl gestern gesehen hatte. Der Oberkellner nannte ihn nur bei seinem Taufnamen Giacomo, was Karl erst später erfuhr, denn in der englischen Aussprache war der Na- me nicht zu erkennen. Dieser Junge bekam nun den Aufrag Karl das für den Lifdienst Notwendige zu zei- gen, aber er war so scheu und eilig, daß Karl von ihm, so wenig auch im Grunde zu zeigen war, kaum dieses We- nige erfahren konnte. Sicher war Giacomo auch deshalb verärgert, weil er den Lifdienst offenbar Karls halber verlassen mußte und den Zimmermädchen zur Hilfelei- stung zugeteilt war, was ihm nach bestimmten Erfah- rungen die er aber verschwieg, entehrend vorkam. Ent- täuscht war Karl vor allem dadurch, daß ein Lifjunge mit der Maschinerie des Aufzugs nur insoferne etwas zu tun hatte, als er ihn durch einen einfachen Druck auf den Knopf in Bewegung setzte, während für Reparaturen am Triebwerk derartig ausschließlich die Maschinisten des Hotels verwendet wurden, daß z. B. Giacomo trotz halbjährigen Dienstes beim Lif weder das Triebwerk im Keller, noch die Maschinerie im Innern des Aufzugs mit eigenen Augen gesehen hatte, trotzdem ihn dies, wie er ausdrücklich sagte, sehr gefreut hätte. Überhaupt war es ein einförmiger Dienst und wegen der zwölfstündigen Arbeitszeit, abwechselnd bei Tag und Nacht, so anstren- gend, daß er nach Giacomos Angaben überhaupt nicht auszuhalten war, wenn man nicht minutenweise im Ste- hen schlafen konnte. Karl sagte hiezu nichts, aber er begriff wohl, daß gerade diese Kunst Giacomo die Stelle gekostet hatte.
       Sehr willkommen war es Karl, daß der Aufzug den er zu besorgen hatte, nur für die obersten Stockwerke be- stimmt war, weshalb er es nicht mit den anspruchsvoll- sten reichen Leuten zu tun haben würde. Allerdings konnte man hier auch nicht soviel lernen wie anderswo und es war nur für den Anfang gut.
       Schon nach der ersten Woche sah Karl ein, daß er dem Dienst vollständig gewachsen war. Das Messing seines Aufzugs war am besten geputzt, keiner der dreißig an- dern Aufzüge konnte sich darin vergleichen und es wäre vielleicht noch leuchtender gewesen, wenn der Junge, der bei dem gleichen Aufzug diente auch nur annähernd so fleißig gewesen wäre und sich nicht in seiner Lässig- keit durch Karls Fleiß unterstützt gefühlt hätte. Es war ein geborener Amerikaner, namens Rennel, ein eitler Junge mit dunklen Augen und glatten, etwas gehöhlten Wangen. Er hatte einen eleganten Privatanzug, in dem er an dienstfreien Abenden leicht parfümiert in die Stadt eilte; hie und da bat er auch Karl ihn abends zu vertre- ten, da er in Familienangelegenheiten weggehn müsse, und es kümmerte ihn wenig, daß sein Aussehn allen solchen Ausreden widersprach. Trotzdem konnte ihn Karl gut leiden und hatte es gern, wenn Rennel

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