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Der Verschollene

Der Verschollene

Titel: Der Verschollene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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antwortete sie, „ich gehe nicht gern hin. Aber wollen Sie nicht wirklich schon schla- fen?" „Nein, nein", sagte Karl, „ich weiß ja noch gar nicht, warum Sie hereingekommen sind." „Weil ich mit niemandem reden kann. Ich bin nicht wehleidig, aber wenn wirklich niemand für einen da ist, so ist man schon glücklich, schließlich von jemandem angehört zu wer- den. Ich habe Sie schon unten im Saal gesehn, ich kam gerade um die Frau Oberköchin zu holen, als sie Sie in die Speisekammern wegführte." „Das ist ein schreckli- cher Saal", sagte Karl. „Ich merke es schon gar nicht mehr", antwortete sie. „Aber ich wollte nur sagen, daß ja die Frau Oberköchin so freundlich zu mir ist, wie es nur meine selige Mutter war. Aber es ist doch ein zu großer Unterschied in unserer Stellung, als daß ich frei mit ihr reden könnte. Unter den Küchenmädchen habe ich früher gute Freundinnen gehabt, aber die sind schon längst nicht mehr hier und die neuen Mädchen kenne ich kaum. Schließlich kommt es mir manchmal vor, daß mich meine jetzige Arbeit mehr anstrengt als die frühere, daß ich sie aber nicht einmal so gut verrichte, wie die und daß mich die Frau Oberköchin nur aus Mitleid in meiner Stellung hält. Schließlich muß man ja wirklich eine bessere Schulbildung gehabt haben, um Sekretärin zu werden. Es ist eine Sünde das zu sagen, aber of und of fürchte ich wahnsinnig zu werden. Um Gotteswil- len", sagte sie plötzlich viel schneller und griff flüchtig nach Karls Schulter, da er die Hände unter der Decke hielt, „Sie dürfen aber der Frau Oberköchin kein Wort davon sagen, sonst bin ich wirklich verloren. Wenn ich ihr jetzt außer den Umständen die ich ihr durch meine Arbeit mache, auch noch Leid bereiten sollte, das wäre wirklich das Höchste." „Es ist selbstverständlich, daß ich ihr nichts sagen werde", antwortete Karl. „Dann ist es gut", sagte sie, „und bleiben Sie hier. Ich wäre froh wenn Sie hierblieben und wir könnten, wenn es Ihnen recht ist, zusammenhalten. Gleich wie ich Sie zum er- stenmal gesehn habe, habe ich Vertrauen zu Ihnen ge- habt. Und trotzdem – denken Sie, so schlecht bin ich – habe ich auch Angst gehabt, die Frau Oberköchin könn- te Sie an meiner Stelle zum Sekretär machen und mich entlassen. Erst wie ich da lange allein gesessen bin, wäh- rend Sie unten im Bureau waren, habe ich mir die Sache so zurechtgelegt, daß es sogar sehr gut wäre, wenn Sie meine Arbeiten übernehmen würden, denn die würden Sie sicher besser verstehn. Wenn Sie die Besorgungen in der Stadt nicht machen wollten, könnte ich ja diese Ar- beit behalten. Sonst aber wäre ich in der Küche gewiß viel nützlicher, besonders da ich auch schon etwas stär- ker geworden bin." „Die Sache ist schon geordnet", sag- te Karl, „ich werde Lifjunge und Sie bleiben Sekretärin. Wenn Sie aber der Frau Oberköchin nur die geringste Andeutung von Ihren Plänen machen, verrate ich auch das Übrige, was Sie mir heute gesagt haben, so leid es mir tun würde." Diese Tonart erregte Terese so sehr, daß sie sich beim Bett niederwarf und wimmernd das Gesicht ins Bettzeug drückte. „Ich verrate ja nichts", sagte Karl, „aber Sie dürfen auch nichts sagen." Nun konnte er nicht mehr ganz unter seiner Decke versteckt bleiben, streichelte ein wenig ihren Arm, fand nichts Rechtes, was er ihr sagen könne und dachte nur, daß hier ein bitteres Leben sei. Endlich beruhigte sie sich wenig- stens so weit, daß sie sich ihres Weinens schämte, sah Karl dankbar an, redete ihm zu, morgen lange zu schla- fen und versprach, wenn sie Zeit fände, gegen acht Uhr heraufzukommen und ihn zu wecken. „Sie wecken ja so geschickt", sagte Karl. „Ja einiges kann ich", sagte sie, fuhr mit der Hand zum Abschied sanf über seine Decke hin und lief in ihr Zimmer.
       Am nächsten Tage bestand Karl darauf gleich seinen Dienst anzutreten, trotzdem ihm die Oberköchin diesen Tag für die Besichtigung von Ramses freigeben wollte. Aber Karl erklärte offen, dafür werde sich noch Gele- genheit finden, jetzt sei es für ihn das Wichtigste mit der Arbeit anzufangen, denn eine auf ein anderes Ziel ge- richtete Arbeit habe er schon in Europa nutzlos abgebrochen und fange als Lifjunge in einem Alter an, in dem wenigstens die tüchtigem Jungen nahe daran sei- en in natürlicher Folge eine höhere Arbeit zu überneh- men. Es sei ganz richtig daß er als Lifjunge anfange, aber ebenso richtig sei, daß er sich besonders beeilen müsse. Bei

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