Der Verschollene
abfuhr, gab es in der gan- zen Reihe der Lifjungen eine mühsam unterdrückte Unruhe, die schon sogar zum Einschreiten eines Ober- kellners geführt hatte. Sei es nun daß die Dame, sei es daß das Gerücht die Ursache war, jedenfalls hatte sich Renell verändert, war noch beiweitem selbstbewußter geworden, überließ das Putzen gänzlich Karl, der schon auf die nächste Gelegenheit einer gründlichen Ausspra- che hierüber wartete, und war im Schlafsaal gar nicht mehr zu sehn. Kein anderer war so vollständig aus der Gemeinschaf der Lifjungen ausgetreten, denn im allge- meinen hielten alle zumindest in Dienstfragen streng zu- sammen und hatten eine Organisation die von der Ho- teldirektion anerkannt war.
Alles dieses ließ sich Karl durch den Kopf gehn, dach- te auch an Delamarche und verrichtete im übrigen seinen Dienst wie immer. Gegen Mitternacht hatte er eine klei- ne Abwechslung, denn Terese, die ihn öfers mit klei- nen Geschenken überraschte, brachte ihm einen großen Apfel und eine Tafel Chokolade. Sie unterhielten sich ein wenig, durch die Unterbrechungen, welche die Fahr- ten mit dem Aufzug brachten, kaum gestört. Das Ge- spräch kam auch auf Delamarche und Karl merkte, daß er sich eigentlich durch Terese hatte beeinflussen las- sen, wenn er ihn seit einiger Zeit für einen gefährlichen Menschen hielt, denn so erschien er allerdings Terese nach Karls Erzählungen. Karl jedoch hielt ihn im Grun- de nur für einen Lumpen, der durch das Unglück sich hatte verderben lassen und mit dem man schon auskom- men konnte. Terese widersprach dem aber sehr lebhaf und forderte Karl in langen Reden das Versprechen ab, kein Wort mit Delamarche mehr zu reden. Statt die- ses Versprechen zu geben, drängte sie Karl wiederholt schlafen zu gehn, da schon Mitternacht längst vorüber war, und als sie sich weigerte, drohte er seinen Posten zu verlassen und sie in ihr Zimmer zu führen. Als sie end- lich bereit war wegzugehn, sagte er: „Warum machst Du Dir so unnötige Sorgen, Terese? Für den Fall, daß Du dadurch besser schlafen solltest verspreche ich Dir ger- ne, daß ich mit Delamarche nur reden werde, wenn es sich nicht vermeiden läßt." Dann kamen viele Fahrten, denn der Junge am Nebenlif wurde zu irgend einer andern Dienstleistung verwendet und Karl mußte beide Lifs besorgen. Es gab Gäste, die von Unordnung spra- chen und ein Herr, der eine Dame begleitete, berührte Karl sogar leicht mit dem Spazierstock, um ihn zur Eile anzutreiben, eine Ermahnung, die recht unnötig war. Wenn doch wenigstens die Gäste, da sie sahen, daß bei dem einen Lif kein Junge stand, gleich zu Karls Lif getreten wären, aber das taten sie nicht, sondern giengen zu dem Nebenlif und blieben dort, die Hand an der Klinke stehn oder traten gar selbst in den Aufzug ein, was nach dem strengsten Paragraphen der Dienstord- nung die Lifjungen um jeden Preis verhüten sollten. So gab es für Karl ein sehr ermüdendes Hin- und Herlau- fen, ohne daß er aber dabei das Bewußtsein gehabt hätte seine Pflicht genau zu erfüllen. Gegen drei Uhr früh wollte überdies ein Packträger, ein alter Mann mit dem er ein wenig befreundet war, irgend eine Hilfeleistung von ihm haben, aber die konnte er nun keinesfalls lei- sten, denn gerade standen Gäste vor seinen beiden Lifs und es gehörte Geistesgegenwart dazu sich sofort mit großen Schritten für eine Gruppe zu entscheiden. Er war daher glücklich als der andere Junge wieder antrat und rief ein paar Worte des Vorwurfs wegen seines langen Ausbleibens zu ihm hinüber, trotzdem er wahrschein- lich keine Schuld daran hatte. Nach vier Uhr früh trat ein wenig Ruhe ein, aber Karl brauchte sie auch schon dringend. Er lehnte schwer am Geländer neben seinem Aufzug, aß langsam den Apfel, aus dem schon nach dem ersten Biß ein starker Duf strömte, und sah in einen Lichtschacht hinunter, der von großen Fenstern der Vorratskammern umgeben war, hinter denen hängende Massen von Bananen im Dunkel gerade noch schim- merten.
VI Der Fall Robinson
Da klopfe ihm jemand auf die Schulter. Karl, der natür- lich dachte, es wäre ein Gast, steckte den Apfel eiligst in die Tasche und eilte, kaum daß er den Mann ansah, zum Aufzug hin. „Guten Abend, Herr Roßmann", sagte nun aber der Mann, „ich bin es, Robinson." „Sie haben sich aber verändert", sagte Karl und schüttelte den Kopf. „Ja es geht mir gut", sagte Robinson und sah an seiner Klei- dung hinunter, die vielleicht aus genug feinen Stücken
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