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Der Verschollene

Der Verschollene

Titel: Der Verschollene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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auf zurückkommen, stockte aber, legte das Gesicht in die Hände und sagte kein Wort mehr.
       Es gab aber auch lustigere Zeiten in Teresens Zim- mer. Gleich bei seinem ersten Besuch hatte Karl dort ein Lehrbuch der kaufmännischen Korrespondenz liegen gesehn und auf seine Bitte geborgt erhalten. Es wurde gleichzeitig besprochen, daß Karl die im Buch enthal- tenen Aufgaben machen und Teresen, die das Buch, soweit es für ihre kleinen Arbeiten nötig war, schon durchstudiert hatte, zur Durchsicht vorlegen solle. Nun lag Karl ganze Nächte lang, Watte in den Ohren, unten auf seinem Bett im Schlafsaal, der Abwechslung halber in allen möglichen Lagen, las im Buch und kritzelte die Aufgaben in ein Hefchen mit einer Füllfeder, die ihm die Oberköchin zur Belohnung dafür geschenkt hatte, daß er für sie ein großes Inventurverzeichnis sehr prak- tisch angelegt und rein ausgeführt hatte. Es gelang ihm die meisten Störungen der andern Jungen dadurch zum Guten zu wenden, daß er sich von ihnen immer kleine Ratschläge in der englischen Sprache geben ließ bis sie dessen müde wurden und ihn in Ruhe ließen. Of staun- te er, wie die andern mit ihrer gegenwärtigen Lage ganz ausgesöhnt waren, ihren provisorischen Charakter – äl- tere als zwanzigjährige Lifjungen wurden nicht gedul- det – gar nicht fühlten, die Notwendigkeit einer Ent- scheidung über ihren künfigen Beruf nicht einsahen und trotz Karls Beispiel nichts anderes lasen, als höch- stens Detektivgeschichten, die in schmutzigen Fetzen von Bett zu Bett gereicht wurden.
       Bei den Zusammenkünfen korrigierte nun Terese mit übergroßer Umständlichkeit, es ergaben sich stritti- ge Ansichten, Karl führte als Zeugen seinen großen Newyorker Professor an, aber der galt bei Terese eben- so wenig wie die grammatikalischen Meinungen der Lifjungen. Sie nahm ihm die Füllfeder aus der Hand und strich die Stelle von deren Fehlerhafigkeit sie über- zeugt war durch, Karl aber strich in solchen Zweifelfäl- len, trotzdem im allgemeinen keine höhere Autorität als Terese, die Sache zu Gesicht bekommen sollte, aus Ge- nauigkeit die Striche Teresens wieder durch. Manchmal allerdings kam die Oberköchin und entschied dann im- mer zu Teresens Gunsten, was noch nicht beweisend war, denn Terese war ihre Sekretärin. Gleichzeitig aber brachte sie die allgemeine Versöhnung, denn es wurde Tee gekocht, Gebäck geholt und Karl mußte von Euro- pa erzählen, allerdings mit vielen Unterbrechungen von Seiten der Oberköchin, die immer wieder fragte und staunte, wodurch sie Karl zu Bewußtsein brachte, wie vieles sich dort in verhältnismäßig kurzer Zeit von Grund aus geändert hatte und wie vieles wohl auch schon seit seiner Abwesenheit anders geworden war und immerfort anders wurde.
       Karl mochte einen Monat etwa in Ramses gewesen sein, als ihm eines Abends Renell im Vorübergehn sagte, er sei vor dem Hotel von einem Mann mit Namen Dela- marche angesprochen und nach Karl ausgefragt worden. Renell habe nun keinen Grund gehabt etwas zu ver- schweigen und habe der Wahrheit gemäß erzählt, daß Karl Lifjunge sei, jedoch Aussicht habe infolge der Pro- tektion der Oberköchin noch ganz andere Stellen zu bekommen. Karl merkte wie vorsichtig Renell von Dela- marche behandelt worden war, der ihn sogar für diesen Abend zu einem gemeinsamen Nachtmahl eingeladen hatte. „Ich habe nichts mehr mit Delamarche zu tun", sagte Karl. „Nimm Du Dich nur auch vor ihm in Acht!" „Ich?" sagte Renell, streckte sich und eilte weg. Er war der zierlichste Junge im Hotel und es gieng unter den andern Jungen, ohne daß man den Urheber wußte, das Gerücht herum, daß er von einer vornehmen Dame, die schon längere Zeit im Hotel wohnte, im Lif zumindest abgeküßt worden sei. Für den, der das Gerücht kannte hatte es unbedingt einen großen Reiz, jene selbstbewuß- te Dame, in deren Äußern nicht das Geringste die Mög- lichkeit eines solchen Benehmens ahnen ließ, mit ihren ruhigen leichten Schritten, zarten Schleiern, streng ge- schnürter Taille an sich vorübergehn zu sehn. Sie wohn- te im ersten Stock und Renells Lif war nicht der ihre, aber man konnte natürlich, wenn die andern Lifs au- genblicklich besetzt waren, solchen Gästen den Eintritt in einen andern Lif nicht verwehren. So kam es daß diese Dame hie und da in Karls und Renells Lif fuhr und tatsächlich immer nur wenn Renell Dienst hatte. Es konnte Zufall sein, aber niemand glaubte daran und wenn der Lif mit den beiden

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