Der Verschollene
kaum hatte Robinson das Wort Krankenhaus gehört, das ihm schreckliche Vorstellungen zu erwecken schien, als er laut zu weinen anfieng und die Hände um Gnade bit- tend nach Karl ausstreckte.
„Still", sagte Karl, schlug ihm mit einem Klaps die Hände nieder, lief zu dem Lifjungen, den er in der Nacht vertreten hatte, bat ihn für ein kleines Weilchen um die gleiche Gefälligkeit, eilte zu Robinson zurück, zog den noch immer Schluchzenden mit aller Kraf in die Höhe und flüsterte ihm zu: „Robinson, wenn Sie wollen, daß ich mich Ihrer annehme, dann strengen Sie sich aber an, jetzt eine ganz kleine Strecke Wegs aufrecht zu gehn. Ich führe Sie nämlich in mein Bett, in dem Sie solange bleiben können, bis Ihnen gut ist. Sie werden staunen, wie bald Sie sich erholen werden. Aber jetzt benehmen Sie sich nur vernünfig, denn auf den Gängen sind überall Leute und auch mein Bett ist in einem allge- meinen Schlafsaal. Wenn man auf Sie auch nur ein wenig aufmerksam wird, kann ich nichts mehr für Sie tun. Und die Augen müssen Sie offenhalten, ich kann Sie da nicht wie einen Totkranken herumführen." „Ich will ja alles tun was Sie für recht halten", sagte Robinson, „aber Sie allein werden mich nicht führen können. Könnten Sie nicht noch Renell holen?" „Renell ist nicht hier", sagte Karl. „Ach ja", sagte Robinson, „Renell ist mit Dela- marche beisammen. Die beiden haben mich ja um Sie geschickt. Ich verwechsle schon alles." Karl benützte diese und andere unverständliche Selbstgespräche Ro- binsons, um ihn vorwärts zu schieben und kam mit ihm auch glücklich bis zu einer Ecke, von der aus ein etwas schwächer beleuchteter Gang zum Schlafsaal der Lif- jungen führte. Gerade jagte in vollem Lauf ein Lifjunge auf sie zu und an ihnen vorüber. Im übrigen hatten sie bis jetzt nur ungefährliche Begegnungen gehabt; zwi- schen vier und fünf Uhr war nämlich die stillste Zeit und Karl hatte wohl gewußt, daß wenn ihm das Wegschaffen Robinsons jetzt nicht gelänge, in der Morgendämme- rung und im beginnenden Tagesverkehr überhaupt nicht mehr daran zu denken wäre.
Im Schlafsaal war am andern Ende des Saales gerade eine große Rauferei oder sonstige Veranstaltung im Gan- ge, man hörte rythmisches Händeklatschen, aufgeregtes Füßetrappeln und sportliche Zurufe. In der bei der Tür gelegenen Saalhälfe sah man in den Betten nur wenige unbeirrte Schläfer, die meisten lagen auf dem Rücken und starrten in die Luf, während hie und da einer be- kleidet oder unbekleidet wie er gerade war, aus dem Bett sprang, um nachzusehn, wie die Dinge am andern Saal- ende standen. So brachte Karl Robinson, der sich an das Gehen inzwischen ein wenig gewöhnt hatte, ziemlich unbeachtet in Renells Bett, da es der Tür sehr nahe lag und glücklicherweise nicht besetzt war, während in sei- nem eigenen Bett, wie er aus der Ferne sah, ein fremder Junge, den er gar nicht kannte, ruhig schlief. Kaum fühl- te Robinson das Bett unter sich, als er sofort – ein Bein baumelte noch aus dem Bett heraus – einschlief. Karl zog ihm die Decke weit über das Gesicht und glaubte sich für die nächste Zeit wenigstens keine Sorgen ma- chen zu müssen, da Robinson gewiß nicht vor sechs Uhr früh erwachen würde, und bis dahin würde er wieder hier sein und dann schon vielleicht mit Renell ein Mittel finden, um Robinson wegzubringen. Eine Inspektion des Schlafsaales durch irgendwelche höhere Organe gab es nur in außerordentlichen Fällen, die Abschaffung der früher üblichen allgemeinen Inspektion hatten die Lif- jungen schon vor Jahren durchgesetzt, es war also auch von dieser Seite nichts zu fürchten.
Als Karl wieder bei seinem Aufzug angelangt war, sah er, daß sowohl sein Aufzug, als auch jener seines Nach- barn gerade in die Höhe fuhren. Unruhig wartete er darauf, wie sich das auflären würde. Sein Aufzug kam früher herunter und es entstieg ihm jener Junge, der vor einem Weilchen durch den Gang gelaufen war. „Ja wo bist Du denn gewesen Roßmann?" fragte dieser. Warum bist Du weggegangen? Warum hast Du es nicht gemeldet?" „Aber ich habe ihm doch gesagt, daß er mich ein Weilchen vertreten soll", antwortete Karl und zeigte auf den Jungen vom Nachbarlif der gerade heran- kam. „Ich habe ihn doch auch zwei Stunden während des größten Verkehres vertreten." „Das ist alles sehr gut", sagte der Angesprochene, „aber das genügt doch nicht. Weißt Du denn nicht, daß man auch die kürzeste Abwesenheit
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