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Der Verschollene

Der Verschollene

Titel: Der Verschollene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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immer sehr elegant wie zu einer Hochzeit angezogen – das ist Wort für Wort wahr, ich kenne ihn selbst – aber der Diener wagte trotz der größten Bestechung nicht Brunelda zu fragen, ob sie ihn empfangen wollte, denn er hatte einigemal schon gefragt, und immer hatte ihm Brunelda das was sie gerade bei der Hand hatte ins Gesicht geworfen. Einmal sogar ihre gro- ße gefüllte Wärmeflasche und mit der hatte sie ihm einen Vorderzahn ausgeschlagen. Ja, Roßmann da schaust Du!"
       „Woher kennst Du den Mann?" fragte Karl.
       „Er kommt manchmal auch herauf", sagte Robinson.
       „Herauf?" Karl schlug vor Staunen leicht mit der Hand auf den Boden.
       „Du kannst ruhig staunen", fuhr Robinson fort, selbst ich habe gestaunt, wie mir das der Diener damals erzählt hat. Denk nur, wenn Brunelda nicht Zuhause war, hat sich der Mann von dem Diener in ihre Zimmer führen lassen und immer eine Kleinigkeit als Andenken mitgenommen und immer etwas sehr Teueres und Fei- nes für Brunelda zurückgelassen und dem Diener streng verboten zu sagen von wem es ist. Aber einmal als er etwas – wie der Diener sagte und ich glaub es – geradezu Unbezahlbares aus Porzellan mitgebracht hatte, muß Brunelda es irgendwie erkannt haben, hat es sofort auf den Boden geworfen, ist darauf herumgetreten, hat es angespuckt und noch einiges andere damit gemacht, so daß es der Diener vor Ekel kaum heraustragen konnte."
       „Was hat ihr denn der Mann getan?" fragte Karl.
       „Das weiß ich eigentlich nicht", sagte Robinson. „Ich glaube aber, nichts besonderes, wenigstens weiß er es selbst nicht. Ich habe ja schon manchmal mit ihm dar- über gesprochen. Er erwartet mich täglich dort an der Straßenecke, wenn ich komme, so muß ich ihm Neuig- keiten erzählen, kann ich nicht kommen, wartet er eine halbe Stunde und geht dann wieder weg. Es war für mich ein guter Nebenverdienst, denn er bezahlt die Nachrichten sehr vornehm, aber seit Delamarche davon erfahren hat, muß ich ihm alles abliefern und so geh ich seltener hin."
    „Aber was will der Mann haben?" fragte Karl, „was will er denn nur haben? Er hört doch, sie will ihn nicht." „Ja", seufzte Robinson, zündete sich eine Cigarette an und blies unter großen Armschwenkungen den Rauch in die Höhe. Dann schien er sich anders zu entschließen und sagte: „Was kümmert das mich? Ich weiß nur, er möchte viel Geld dafür geben, wenn er so hier auf dem Balkon liegen dürfe, wie wir."
    Karl stand auf, lehnte sich ans Geländer und sah auf die Straße hinunter. Der Mond war schon sichtbar, in die Tiefe der Gasse drang sein Licht aber noch nicht. Die am Tag so leere Gasse war besonders vor den Haustoren gedrängt voll Menschen, alle waren in langsamer schwerfälliger Bewegung, die Hemdärmel der Männer, die hellen Kleider der Frauen hoben sich schwach vom Dunkel ab, alle waren ohne Kopfedeckung. Die vielen Balkone ringsherum waren nun insgesamt besetzt, dort saßen beim Licht einer Glühlampe die Familien je nach der Größe des Balkons um einen kleinen Tisch herum oder bloß auf Sesseln in einer Reihe oder sie steckten wenigstens die Köpfe aus dem Zimmer hervor. Die Männer saßen breitbeinig da, die Füße zwischen den Geländerstangen hinausgestreckt und lasen Zeitungen, die fast bis auf den Boden reichten, oder spielten Karten, scheinbar stumm aber unter starken Schlägen auf die Tische, die Frauen hatten den Schooß voll Näharbeit und erübrigten nur hie und da einen kurzen Blick für ihre Umgebung oder für die Straße, eine blonde schwa- che Frau auf dem benachbarten Balkon gähnte immer- fort, verdrehte dabei die Augen und hob immer vor den Mund ein Wäschestück, das sie gerade flickte, selbst auf den kleinsten Baikonen verstanden es die Kinder einan- der zu jagen, was den Eltern sehr lästig fiel. Im Innern vieler Zimmer waren Grammophone aufgestellt und bliesen Gesang oder Orchestralmusik hervor, man küm- merte sich nicht besonders um diese Musik, nur hie und da gab der Familienvater einen Wink und irgendjemand eilte ins Zimmer hinein, um eine neue Platte einzulegen. An manchen Fenstern sah man vollständig bewegungs- lose Liebespaare, an einem Fenster Karl gegenüber stand ein solches Paar aufrecht, der junge Mann hatte seinen Arm um das Mädchen gelegt und drückte mit der Hand ihre Brust.
       „Kennst Du jemanden von den Leuten hier nebenan?" fragte Karl Robinson, der nun auch aufgestanden war und weil es ihn fröstelte außer der Bettdecke auch

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