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Der Verschollene

Der Verschollene

Titel: Der Verschollene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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niemand voraus- sehn." Und ehe er weitererzählte, sagte er noch: „auf Dein Wohl, lieber Roßmann" und nahm einen langen Zug aus der Parfumflasche. „Wir waren ja damals wie Du uns so gemein hast sitzen lassen, sehr schlecht daran. Arbeit konnten wir an den ersten Tagen keine bekom- men, Delamarche übrigens wollte keine Arbeit, er hätte sie schon bekommen, sondern schickte nur immer mich auf Suche und ich habe kein Glück. Er hat sich nur so herumgetrieben, aber es war schon fast Abend, da hatte er nur ein Damenportemonnaie mitgebracht, es war zwar sehr schön, aus Perlen, jetzt hat er es der Brunelda geschenkt, aber es war fast nichts darin. Dann sagte er wir sollten in die Wohnungen betteln gehn, bei dieser Gelegenheit kann man natürlich manches Brauchbare finden, wir sind also betteln gegangen und ich habe, damit es besser aussieht, vor den Wohnungstüren gesun- gen. Und wie schon Delamarche immer Glück hat, sind wir nur vor der zweiten Wohnung gestanden, einer sehr reichen Wohnung im Parterre, und haben an der Tür der Köchin und dem Diener etwas vorgesungen, da kommt die Dame, der diese Wohnung gehört, eben Brunelda die Treppe hinauf. Sie war vielleicht zu stark geschnürt und konnte die paar Stufen gar nicht heraufommen. Aber wie schön sie ausgesehn hat, Roßmann! Sie hat ein ganz weißes Kleid und einen roten Sonnenschirm gehabt. Zum Ablecken war sie. Zum Austrinken war sie. Ach Gott, ach Gott war sie schön. So ein Frauenzimmer! Nein sag mir nur wie kann es so ein Frauenzimmer ge- ben? Natürlich ist das Mädchen und der Diener gleich ihr entgegengelaufen und haben sie fast hinaufgetragen. Wir sind rechts und links von der Tür gestanden und haben salutiert, das macht man hier so. Sie ist ein wenig stehn geblieben, weil sie noch immer nicht genug Atem hatte und nun weiß ich nicht, wie das eigentlich gesche- hen ist, ich war durch das Hungern nicht ganz bei Ver- stand und sie war eben in der Nähe noch schöner und riesig breit und infolge eines besondern Mieders, ich kann es Dir dann im Kasten zeigen, überall so fest – kurz, ich habe sie ein bißchen hinten angerührt, aber ganz leicht weißt Du, nur so angerührt. Natürlich kann man das nicht dulden, daß ein Bettler eine reiche Dame anrührt. Es war ja fast keine Berührung, aber schließlich war es eben doch eine Berührung. Wer weiß, wie schlimm das ausgefallen wäre, wenn mir nicht Dela- marche sofort eine Ohrfeige gegeben hätte und zwar eine solche Ohrfeige, daß ich sofort meine beiden Hände für die Wange brauchte."
    „Was Ihr getrieben habt", sagte Karl, von der Ge- schichte ganz gefangen genommen und setzte sich auf den Boden. „Das war also Brunelda?" „Nun ja", sagte Robinson, „das war Brunelda."
    „Sagtest Du nicht einmal, daß sie eine Sängerin ist?" fragte Karl.
    „Freilich ist sie eine Sängerin und eine große Sänge- rin", antwortete Robinson, der eine große Bonbonmasse auf der Zunge wälzte und hie und da ein Stück, das aus dem Mund gedrängt wurde mit den Fingern wieder zu- rückdrückte. „Aber das wußten wir natürlich damals noch nicht, wir sahen nur daß es eine reiche und sehr feine Dame war. Sie tat, als wäre nichts geschehn und vielleicht hatte sie auch nichts gespürt, denn ich hatte sie tatsächlich nur mit den Fingerspitzen angetippt. Aber immerfort hat sie den Delamarche angesehn, der ihr wie- der – wie er das schon trif – gerade in die Augen zu- rückgeschaut hat. Darauf hat sie zu ihm gesagt: ‚Komm mal auf ein Weilchen herein' und hat mit dem Sonnen- schirm in die Wohnung gezeigt, wohin Delamarche ihr vorangehn sollte. Dann sind sie beide hineingegangen und die Dienerschaf hat hinter ihnen die Türe zuge- macht. Mich haben sie draußen vergessen und da habe ich gedacht es wird nicht gar so lange dauern und habe mich auf die Treppe gesetzt, um Delamarche zu erwar- ten. Aber statt des Delamarche ist der Diener herausge- kommen und hat mir eine ganze Schüssel Suppe heraus- gebracht, ‚eine Aufmerksamkeit des Delamarche!' sagte ich mir. Der Diener blieb noch während ich aß ein Weil- chen bei mir stehn und erzählte mir Einiges über Brunel- da und da habe ich gesehn, was für eine Bedeutung der Besuch bei Brunelda für uns haben konnte. Denn Bru- nelda war eine geschiedene Frau, hatte ein großes Ver- mögen und war vollständig selbstständig. Ihr früherer Mann ein Cacaofabrikant liebte sie zwar noch immer, aber sie wollte von ihm nicht das geringste hören. Er kam sehr of in die Wohnung,

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