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Der Verschollene

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Titel: Der Verschollene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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durchgeschaut, aber seitdem einmal Delamarche bei einer solchen Gelegenheit – ich weiß genau daß er es nicht wollte, sondern es nur auf Bruneldas Bitte tat – mir mit der Peitsche einige Male ins Gesicht geschlagen hat – siehst Du den Striemen? – wage ich nicht mehr durchzu- schauen. Und so liege ich dann hier auf dem Balkon und habe kein Vergnügen außer dem Essen. Vorgestern als ich da abend so allein gelegen bin, damals war ich noch in meinen eleganten Kleidern die ich leider in Deinem Hotel verloren habe – diese Hunde! reißen einem die teuern Kleider vom Leib! – als ich also da so allein gele- gen bin und durch das Geländer heruntergeschaut habe, war mir alles so traurig und ich habe zu heulen angefan- gen. Da ist zufällig ohne daß ich es gleich bemerkt habe, die Brunelda zu mir herausgekommen in dem roten Kleid – das paßt ihr doch von allen am besten –, hat mir ein wenig zugeschaut und hat endlich gesagt: ‚Robinso- nerl, warum weinst Du?' Dann hat sie ihr Kleid gehoben und mir mit dem Saum die Augen abgewischt. Wer weiß, was sie noch getan hätte, wenn da nicht Delamarche nach ihr gerufen hätte und sie nicht sofort wieder ins Zimmer hätte hineingehn müssen. Natürlich habe ich gedacht, jetzt sei die Reihe an mir und habe durch den Vorhang gefragt ob ich schon ins Zimmer darf. Und was meinst Du, hat die Brunelda gesagt? ‚Nein!' hat sie ge- sagt und ‚was fällt Dir ein?' hat sie gesagt."
       „Warum bleibst Du denn hier, wenn man Dich so behandelt?" fragte Karl.
       „Verzeih, Roßmann, Du fragst nicht sehr gescheit", antwortete Robinson. „Du wirst schon auch noch hier bleiben und wenn man Dich noch ärger behandelt. Übri- gens behandelt man mich gar nicht so arg."
       „Nein", sagte Karl, „ich gehe bestimmt weg und wo- möglich noch heute abend. Ich bleibe nicht bei Euch."
       „Wie willst Du denn z. B. das anstellen, heute abend wegzugehn?" fragte Robinson, der das Weiche aus dem Brot herausgeschnitten hatte und sorgfältig in dem Öl der Sardinenbüchse tränkte. „Wie willst Du weggehn, wenn Du nicht einmal ins Zimmer hineingehn darfst."
       „Warum dürfen wir denn nicht hineingehn?"
       „Nun solange es nicht geläutet hat dürfen wir nicht hineingehn", sagte Robinson, der mit möglichst weit ge- öffnetem Mund das fette Brot verspeiste, während er mit einer Hand das vom Brot herabtropfende Öl auffieng, um von Zeit zu Zeit das noch übrige Brot in diese als Reservoir dienende hohle Hand zu tauchen. „Es ist hier alles strenger geworden. Zuerst war da nur ein dünner Vorhang, man hat zwar nicht durchgesehn, aber am Abend hat man doch die Schatten erkannt. Das war der Brunelda unangenehm und da habe ich einen ihrer Teatermäntel zu einem Vorhang umarbeiten und statt des alten Vorhanges hier aufängen müssen. Jetzt sieht man gar nichts mehr. Dann habe ich früher immer fragen dürfen, ob ich schon hineingehn darf und man hat mir je nach den Umständen geantwortet ‚ja' oder ‚nein', aber dann habe ich das wahrscheinlich zu sehr ausgenützt und zu of gefragt, Brunelda konnte das nicht ertragen – sie ist trotz ihrer Dicke sehr schwach veranlagt, Kopf- schmerzen hat sie of und Gicht in den Beinen fast im- mer – und so wurde bestimmt, daß ich nicht mehr fragen darf, sondern daß, wenn ich hineingehn kann, auf die Tischglocke gedrückt wird. Das gibt ein solches Läuten, daß es mich selbst aus dem Schlaf weckt – ich habe einmal eine Katze zu meiner Unterhaltung hier gehabt, die ist vor Schrecken über dieses Läuten weggelaufen und nicht mehr zurückgekommen. Also geläutet hat es heute noch nicht – wenn es nämlich läutet dann darf ich nicht nur, sondern muß hineingehn – und wenn es ein- mal so lange nicht läutet, dann kann es noch sehr lange dauern."
       „Ja", sagte Karl, „aber was für Dich gilt, muß doch noch nicht für mich gelten. Überhaupt gilt so etwas nur für den, der es sich gefallen läßt."
       „Aber", rief Robinson, „warum sollte denn das nicht auch für Dich gelten? Selbstverständlich gilt es auch für Dich. Warte hier nur ruhig mit mir, bis es läutet. Dann kannst Du ja versuchen, ob Du wegkommst."
       „Warum gehst Du denn eigentlich nicht fort von hier? Nur deshalb weil Delamarche Dein Freund ist oder bes- ser war? Ist denn das ein Leben? Wäre es da nicht in Butterford besser, wohin Ihr zuerst wolltet? Oder gar in Kalifornien wo Du Freunde hast."
       „Ja", sagte Robinson, „das konnte

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