Der versoffene Papagei
schwarzhaarige Mädchen, auf dessen Foto ich zufällig bei Maxwell getippt hatte!
Ich nahm meine Brieftasche heraus, suchte dieses Foto und legte es auf den Tisch. Dann wandte ich mich ab und schaute mich in ihrem Zimmer um.
Auf der mit Chintz bezogenen Couch saßen vier Puppen, und in den Sesseln davor ebenfalls je eine. Weitere Puppen saßen auf der Kommode aus rotem Birnbaumholz und auf dem Frisiertisch, an den dreiteiligen Spiegel gelehnt. An der einen Wand hing das Bild eines Harlekins.
Ich hörte sie schluchzen und wandte mich ihr zu.
»Schlimm, was?« sagte ich.
Sie saß auf dem Hocker vor ihrem Frisiertisch, hatte die Ellenbogen auf die Knie gestützt und ihre Finger ins Haar gewühlt.
»Ich hab’ kein Geld«, sagte sie stockend, so daß ich es kaum verstehen konnte. »Ich hab’ bestimmt kein Geld.«
»Ich auch nicht«, sagte ich.
»Zwanzig Dollar«, flüsterte sie. »Ich könnte Ihnen nur zwanzig Dollar geben, aber Sie hätten nicht an meinen Vater schreiben sollen.«
Ich nahm die Puppe auf einem der Sessel und warf sie zu den andern auf die Couch, um mich setzen zu können.
»Wie alt sind Sie eigentlich?« fragte ich.
»Noch nicht ganz zwanzig.«
»Und Sie wollen Schauspielerin werden?«
Sie nickte nur.
» Murchison hatte Ihnen versprochen, ein bißchen nachzuhelfen, wenn Sie zu ihm kämen, nicht wahr? Er sagte, er wolle ein paar harmlose Aktaufnahmen von Ihnen machen, und Sie glaubten ihm das?«
Sie nickte wieder, aber sie fing an, lauter zu schluchzen.
»Und dann kam ein Brief mit einem Foto an Ihren Vater?«
Sie schaute mich nun an. Es war ein wilder, verzweifelter Blick.
»Ja! Ja! Ja!« rief sie. »Freuen Sie sich nur darüber, Sie Schuft! Sie Schuft!«
»Und was hat Ihr Vater gemacht?« fragte ich.
»Was er gemacht hat?« schrie sie mich an. »Das wissen Sie doch! Er hat Ihnen hundert Dollar geschickt. Wir dachten, damit sei das erledigt. Sie hatten das ja in Ihrem Brief versprochen. Aber dann haben Sie zweihundert Dollar verlangt!«
Sie hätte mir auch leid getan , wenn sie nicht so aufregend hübsch gewesen wäre. Nun bot sie ein Bild tiefster Verzweiflung. Keineswegs machte sie auf mich den Eindruck einer leichtfertigen Person. Sie war wirklich nur ein Opfer, ein armes Luder, das eine kleine Karriere hatte machen wollen, das dem großen Namen Murchisons vertraut hatte und schrecklich hereingefallen war. Erpresser richten manchmal mehr Schaden an als Mörder.
Ich war versucht, diesem armen Mädchen die nervös zuckenden Hände zu streicheln, aber noch hielt sie mich ja für den Schuft, der ihr Unglück verursacht hatte.
Ich sagte:
»Wenn ich Ihr Vater gewesen wäre, dann hätte ich keine hundert Dollar geschickt. Nicht einen Cent hätte ich geschickt. Ich hätte Sie selbst erst mal übers Knie gelegt und Sie windelweich gehauen. Das hätte ich getan. Vielleicht wäre dann alles ganz anders gekommen.«
Sie saß immer noch so da wie vorhin und schien gar nicht begriffen zu haben, was ich gesagt hatte.
»Wie heißen Sie eigentlich?«
Sie hob den Kopf und schaute mich eine Sekunde lang fragend an.
»Diana«, sagte sie. »Das wissen Sie doch. Warum quälen Sie mich denn so?«
»Nein«, sagte ich. »Das wußte ich nicht, denn ich habe die Briefe nicht geschrieben. Ich möchte Sie auch nicht quälen, aber ich muß das jetzt zu Ende führen, was ich angefangen habe. Glauben Sie nur nicht, daß mir das besonderen Spaß macht.«
Sie blickte mich mit halb geöffnetem Munde an.
»Sie... haben nicht... wer sind Sie denn? Was wollen Sie denn von mir?«
»Ich bin Detektiv.«
Ihre Augen wurden ganz groß.
»Sie sind Detektiv? Und Sie sind... Sie sind hinter dieser Sache her?«
»Ja. Und ich bin schon ziemlich am Ende angekommen.«
»Gott sei Dank!« rief sie und atmete tief auf. »Gott sei Dank, jetzt ist es also soweit. Nun wird alles rauskommen, aber das ist immer noch besser als so, wie’s bisher war. Haben Sie schon mit meinem Vater gesprochen?«
»Nein, noch nicht.«
»Er hatte Angst vor einem Skandal«, sagte sie leise. »Er wollte nicht, daß man schlecht über mich spricht.«
Sie wandte sich ab, und ihre Schultern zuckten.
Ich stand auf und strich ihr nun doch mit der Hand übers Haar.
»Ihr Vater liebt Sie wohl sehr?«
»Ja, sehr«, schluchzte sie. »Er würde alles für mich tun, alles! Er hat schwer kämpfen müssen, bis er es zu etwas gebracht hatte, aber er hätte alles für mich geopfert.«
»Ja«, sagte ich leise, »das hat er getan. Er hat alles
Weitere Kostenlose Bücher