Der verwaiste Thron 02 - Verrat
die Stürme in Somerstorm manchmal aus fernen Ländern mitgebracht hatten.
»Hast du Hunger?« Nungo'was' Stimme riss Ana aus ihren Gedanken. Er hockte vor einer Feuerstelle und briet Fische in einem Topf voller Öl. Sein Bauch quoll über die Hose. Er wischte sich die Finger daran ab und hielt Ana ein Holzbrett voller fingerlanger Fische hin.
»Sind ganz frisch«, sagte er.
Sie hörte ihren Magen knurren, Nungo'was ebenfalls. Er grinste. »Hör auf ihn. Er weiß, was gut für dich ist.«
»Ich bin wirklich etwas hungrig.« Ana zögerte, doch dann setzte sie sich neben den Matrosen. Ihre Schulter berührte seinen Arm. Es würde ihr guttun, nicht mehr allein mit ihren Gedanken zu sein.
Sie nahm einen der Fische und biss hinein. Die Haut war knusprig, die Gräten so klein, dass man sie nicht ausspucken musste. Nungo'was schob ihr ein zweites Brett mit gekochten Algen zu. »Das schmeckt gut dazu.«
Sie probierte, nickte und drehte sich zu Merie um, die ein Stück entfernt stehen geblieben war. »Möchtest du auch etwas essen?«
»Nein … nein, Herrin.« Selbst im Schein der glühenden Holzkohle wirkte Merie blass. Das Feuermal an ihrem Hals war so schwarz wie geronnenes Blut.
»Dann leg dich etwas hin«, sagte Ana. »Morgen früh wirst du dich besser fühlen.«
»Aber ich bin nicht …« Merie unterbrach sich. »Ja, Herrin.« Sie verbeugte sich steif und ging zurück zum Bug.
Nungo'was sah ihr nach. »Es war nett von dir, sie aus dem Käfig zu lassen. Ich weiß, dass du für uns andere getan hast, was du konntest.«
»Das hoffe ich.« Ana wickelte einen Fisch in Algen und biss hinein. Sie spürte, dass Nungo'was sie musterte, und bemühte sich, so zu tun, als bemerke sie es nicht.
»Diese Fische sind wirklich gut«, sagte sie mit vollem Mund. »Hast du sie gefangen?«
Er ging nicht darauf ein. Sein Blick wurde ihr unangenehm. Sie streckte sich und gähnte. »Es ist schon spät. Ich werde …«
»Wie wichtig ist es?«, fragte er, bevor sie ausreden konnte. »Also, dass du nach Charbont kommst?«
Ana ließ die Arme sinken. Sie drehte den Kopf und erwiderte seinen Blick. »Mein Leben hängt davon ab«, sagte sie ernst.
Er nickte. »So was dachte ich mir schon.« Kurz sah er sich um. »Ich kann dich dorthin bringen.«
Ana legte den angebissenen Fisch wieder auf die Holzplatte. Sie wollte nicht, dass Nungo'was sah, dass ihre Finger zu zittern begonnen hatten. »Wie?«
»Manchmal wollen Leute die Stadt schnell verlassen. Leute, die sie nicht verlassen dürfen.« Geflohene Sklaven , dachte Ana, unterbrach ihn aber nicht. »Wir handeln mit ihnen einen Preis aus, dann nennen wir ihnen den Treffpunkt. Niemand weiß davon, verstehst du?«
»Ja.« Sie legte ihm die Hand auf den Oberschenkel. »Kannst du mich heute Nacht dorthin bringen?«
Sein Blick richtete sich auf ihre Hand. »Das kann ich. Aber nur dich, niemand sonst. Und ich werde nicht zurückkommen. Sie wird mich niemals gehen lassen.«
Sie wusste, dass Erys damit gemeint war, und nickte. »Wann?«
Nungo'was zögerte, so als bereue er schon, den Vorschlag gemacht zu haben.
»Es ist wirklich wichtig«, sagte Ana. Sie sah sich um. Niemand beachtete sie. Erys und die anderen Frauen befanden sich irgendwo hinter Kisten, Ochsen und den Karren mit den Gefangenen. »Können wir nicht sofort aufbrechen?«, drängte sie, als Nungo'was nicht antwortete.
»Denke schon.«
Sie hörte den Zweifel in seiner Stimme und wusste, dass sie ihm keine Zeit zum Nachdenken lassen durfte. Also stand sie auf und hielt ihm die Hand hin. »Dann komm.«
Nungo'was ergriff ihre Hand. Sie war größer als Anas, schwielig und hart. »Nimm die Algen«, sagte er. Ana fragte nicht nach dem Grund.
Nungo'was nahm das Brett mit den Fischen und nickte einem Matrosen zu, der an der Reling saß und ein Netz flickte. »Wir gehen runter und bringen den Verletzten was zu essen.«
Der andere, ein Junge mit langen Haaren und vernarbtem Gesicht, grinste. »Natürlich.«
Ana sah zu Boden. Sie wusste, was der Junge dachte, was alle dachten, an denen sie vorbeigingen, sogar Merie. Nungo'was ließ ihre Hand nicht los. Jeder sah, dass er sie unter Deck führte. Es war ihr so unangenehm, dass sie am liebsten geflohen wäre.
Reiß dich zusammen , dachte sie. Du bist eine Fürstin. Was andere denken, hat dich nicht zu interessieren.
Und doch tat es das.
Eine steile Treppe führte unter Deck. Sie stellten die Bretter mit Fischen und Algen auf eine Kiste und gingen weiter. Die Laderäume
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