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Der verwaiste Thron 02 - Verrat

Der verwaiste Thron 02 - Verrat

Titel: Der verwaiste Thron 02 - Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Junge setzte zu einer Verbeugung an, bemerkte dann jedoch, dass Milus stehen blieb, und bewegte sich ebenfalls nicht.
    »Interessant.« Craymorus hatte vergessen, wie schneidend die Stimme seines Vaters klingen konnte. Wären die Krücken nicht gewesen, die ihn aufrecht hielten, hätte er sich vielleicht sogar geduckt.
    Sein Vater zeigte auf den Jungen neben sich. »Das ist mein Sohn Adelus.«
    Adelus. Craymorus kannte ihn nur als Säugling, hatte ihn zuletzt bei der Bestattung seiner Mutter gesehen, am Abend bevor er zur Insel der Meister aufgebrochen war. Er hatte damals noch nicht einmal einen Namen gehabt.
    Er sah seinen Bruder an, und sein Bruder sah ihn an. Craymorus bemerkte die Ähnlichkeit zwischen ihnen, doch sich selbst konnte er in ihm nicht sehen.
    Aber das, was ich hätte sein können , dachte er. Der Gedanke erschütterte ihn. Craymorus schüttelte ihn ab und streckte die Hand aus. »Es freut mich, dich wiederzusehen.«
    Adelus ergriff seine Hand. »Bruder.«
    Seine Stimme zitterte. Er war im Stimmbruch.
    »Ich …«, begann er, aber Milus kam ihm zuvor.
    »Warum bist du hier?«
    Sein Tonfall war kalt, weder unfreundlich noch freundlich, weder mitfühlend noch enttäuscht. Seit dem Unfall – in der Familie hatte man es stets so bezeichnet, obwohl es keiner gewesen war – hatte er nur auf diese Weise mit Craymorus gesprochen, so als hätten die Krücken einen Fremden aus seinem Sohn gemacht, den er nicht mehr erkannte. Vielleicht war es so.
    Craymorus ließ Adelus' Hand los und wischte sich das Wasser aus dem Gesicht. Der Regen war stärker geworden. Am liebsten hätte er Garrsy um seinen Umhang gebeten, doch das hätte wie Schwäche gewirkt.
    »Ich habe etwas gesehen«, sagte er. »Bei den Hochzeitsfeierlichkeiten … Bei meinen Hochzeitsfeierlichkeiten waren Gaukler, die …«
    Er unterbrach sich. Unter dem kalten Blick seines Vaters erschien ihm die Frage plötzlich lächerlich und dumm. Er räusperte sich und stellte sie trotzdem. »Ist die Magie zurückgekehrt?«
    Sein Vater schwieg einen Moment lang. Der Regen bildete dunkle Flecken auf seiner Robe. »Würden wir so leben, wenn es so wäre?«, fragte er dann und wandte sich ab. Adelus folgte ihm.
    Craymorus sah ihnen nach. Mit federnden Schritten gingen sie über die Brücke. Ihre Füße hoben und senkten sich gleichzeitig. Er drehte sich um und zog seine Beine der Kutsche entgegen.
    Alles war umsonst gewesen, die Reise, der Tod des Soldaten, die Hoffnung, der er sich hingegeben hatte. Dutzende Male hatte er die Begegnung mit seinem Vater in Gedanken durchgespielt, während die Kutsche ihrem Ziel entgegenfuhr, doch mit dieser Wendung hatte er nicht gerechnet. Ich bin für ihn an diesem Abend gestorben.
    Craymorus stützte sich an der offenen Kutschentür ab und schob die Krücken ins Innere. »Herr?«, sagte eine Stimme plötzlich neben ihm. Er sah auf.
    Die Palastwache und die meisten Milizsoldaten waren zurückgeblieben, fürchteten wohl die Stimmung ihres Fürsten. Nur Jonan hatte ihn begleitet.
    »Herr«, sagte er noch einmal. »Darf ich eine Frage an Euch richten?«
    Craymorus hob die Schultern.
    Jonan warf einen Blick zur Brücke. »Es regnet, aber Euer Bruder wird nicht nass. Wie ist das möglich?«
    »Was?« Er sah Adelus' Gesicht vor sich. Jung, neugierig und … trocken, während ihm selbst das Wasser aus den Haaren getropft war.
    Craymorus' Blick traf Garrsys.
    »Haltet sie auf!«, rief er.

 
Kapitel 28
     
    In Blindnächten, wenn es beinahe windstill ist, spiegeln sich die Sterne im schwarzen Wasser des Flusses, und man vermag nicht mehr zu unterscheiden, ob man auf ihm fährt und in den Himmel blickt oder am Himmel fährt und hinauf in den Fluss blickt.
    Jonaddyn Flerr, Die Fürstentümer und Provinzen der vier Königreiche, Band 1
     
    Vier waren im Pfeilhagel gestorben, fünf weitere lagen verletzt unter Deck. Es gab keinen Heiler an Bord und keinen Priester, nur die Matrosen, die die Toten in Decken einwickelten. Als es dunkel wurde, warfen sie die Leichen ins Wasser.
    Ana ging langsam an der Reling entlang. Merie blieb hinter ihr wie ein Hund. Seit dem Angriff hatte sie kaum etwas gesagt. Die Passagiere saßen in kleinen Gruppen zusammen. Ana hörte Worte wie »Westfall« und »Charbont«, wenn sie an ihnen vorbeiging.
    Ich glaube kaum, dass man uns dort aufnehmen wird , dachte sie. Wir sind Aussätzige.
    Die Lichter der Stadt funkelten im Wasser. Ana glaubte Musik zu hören. Sie wehte mit dem Wind herüber wie der Sand, den

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