Der verwaiste Thron 02 - Verrat
Herr.«
Jonan schloss die Tür. Die Soldaten standen im Gang, versperrten ihm den einzig möglichen Fluchtweg; er würde nicht an ihnen vorbeikommen, es war zu eng. Er presste die Lippen aufeinander, atmete durch und drehte sich zu dem Gefangenen um.
Korvellan starrte ihn an.
Er weiß es , dachte Jonan. Sein eigenes Gesicht war eine Maske, die nichts verriet. Es war seine letzte Rüstung, jenseits aller Waffen, dem Eisen und dem Leder. Es würde ihn bis in den Tod begleiten.
»Du solltest mich ansehen und nicht meinen Leibgardisten«, sagte Craymorus. »Er kann dir nicht helfen, ich schon.«
»Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das stimmt.« Jonan hörte die Aufforderung, die darin lag. Dann löste Korvellan den Blick von ihm. »Was kann ich für Euch tun, Fürst?«
»Du könntest dich in das verwandeln, was du bist.« Craymorus stand neben einem Tisch und schüttete Wein in einen Kelch. Seine Finger zitterten kaum merklich. »Das ist ehrlicher.«
»Ich bin, was Ihr seht, Fürst.« Korvellan hob die Hände, bis die Ketten sich spannten. »Euer Gefangener.«
»Meine Soldaten behaupten, sie hätten dich bei einem Dorf in der Nähe aufgegriffen. Was hast du da getan?«
»Gefrühstückt.«
Craymorus hob die Augenbrauen. »Und warum frühstückt der Kommandant der Nachtschattenarmee allein in einem Dorf, keine Tagesreise von dieser Festung entfernt?«
Korvellan hob die Schultern. Seine Ketten klirrten. »Weil er die Krieger, die ihn begleiteten, weggeschickt hatte. Weil er auf eine Lüge hereinfiel, die er hätte erkennen müssen. Weil er dumm war.«
»Du scheinst deine Lage nicht ernst zu nehmen, Tier.«
»Das ist richtig.« Korvellan nickte. Sein Tonfall veränderte sich. Er plauderte nicht mehr. »Meine Lage ist nichts im Vergleich zu der Euren.«
Er ließ Craymorus nicht darauf antworten, sondern fuhr fort: »Ist es wahr, dass Nachtschatten Euch, als Ihr noch ein Kind wart, zum Krüppel machten?«
Der Fürst stellte den Becher ab. Jonan verstand nicht, warum er lächelte. »Das ist richtig.«
»Aber sie haben Euch nur die Beine genommen, nicht das Augenlicht, oder?«
»Was …?«
»Warum seht Ihr dann nicht?« Korvellans Stimme durchschnitt den Raum wie ein Messer.
Ein Soldat klopfte von draußen an die Tür.
»Braucht Ihr Hilfe, Herr?«
»Nein«, rief Craymorus. Er sah Korvellan an. »Was soll das heißen?«
»Dass du sehen musst, jedes Mal, wenn du ihr in die Augen blickst. Dass du es bei jeder Berührung spüren musst. Ich habe ihre Leere gerochen.« Der Nachtschatten zog an seinen Ketten. Ein seltsamer Ausdruck erschien in seinem Gesicht, als würde sich das Tier langsam unter die menschliche Fassade schieben und sie ausfüllen. Er schien es ebenfalls zu bemerken, denn er ließ die Schultern sinken und atmete durch. »Ich bin nicht der Feind. Sie ist es.«
Stille breitete sich im Raum aus. Wachs tropfte von den Kerzen an der Wand auf den Boden. Craymorus setzte sich auf den Stuhl, der neben dem Tisch stand, und senkte den Kopf. Korvellan erhob sich, soweit es seine Ketten zuließen.
»Ich biete dir meine Hilfe an. Schlag sie nicht aus.«
Es war stickig. Die Kerzen flackerten, so als sei draußen eine Tür geöffnet worden. Korvellans Blick blieb auf Craymorus gerichtet. Sein Gesicht war verkniffen und ernst. Jonan wünschte sich, er hätte in seinen Geist blicken und sehen können, ob er ein Spiel trieb oder es ernst meinte.
Redet er von der Fürstin? , fragte er sich. Tohm hatte behauptet, Korvellan und Syrah hätten vor vielen Jahren eine Affäre miteinander gehabt, aber er hatte auch vieles andere behauptet. Jonan wusste nicht, was davon stimmte und was frei erfunden war.
Craymorus räusperte sich. »Hast du solche Angst vor dem Tod«, sagte er, »dass du es vorziehst, dein Leben bei den Besessenen zu verbringen?«
Korvellan schüttelte den Kopf. Es erschien Jonan nicht wie eine Antwort auf Craymorus' Frage.
»Dann wirst du mir sicher sagen, wie viele Nachtschatten dir und der anderen Kreatur folgen, wie sie bewaffnet sind und welche Rüstungen sie tragen.«
Die Stimme des Fürsten klang seltsam belegt. Sein Blick irrte durch den Raum, als könne er an keinem Punkt zur Ruhe kommen.
Er weiß, wovon Korvellan spricht , dachte Jonan. Und es trifft ihn.
»Herr«, begann er, aber ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn.
Craymorus wirkte erleichtert, als er »Ja!« rief.
Ein Offizier trat ein. Es war ein Mann mittleren Alters mit einem langen Backenbart. Er warf einen kurzen Blick auf
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