Der verwaiste Thron 02 - Verrat
Stadt entgegen. Er war glücklich.
Kapitel 35
Fragt man in Somerstorm, welche Jahreszeit die schlimmste ist, so erhält man häufig zur Antwort, es sei der Sommer, weil dessen Milde einen für kurze Zeit an die Gnade der Götter glauben ließe.
Jonaddyn Flerr, Die Fürstentümer und Provinzen der vier Königreiche, Band 1
Der Winter kam.
Gerit stand an der Küchentür und sah hinaus auf den Innenhof. Schnee und die Asche der Feuerstellen bildeten einen schmutzig grauen Teppich auf den Steinen. Seit Tagen schneite es. Die Pässe waren bereits unpassierbar, das hatte er von den Hirten im Dorf gehört. Bis zum Frühjahr würden weder Menschen, Nachtschatten noch Nachrichten Somerstorm erreichen. Der Krieg war so weit entfernt wie seine Lüge.
Gut , dachte er.
»Wo sie wohl sind?«, fragte Mamee. Sie trat hinter Gerit und legte ihm das Kinn auf die Schulter. Ihre Lippen berührten seinen Hals.
»Wer?«, fragte er.
»Korvellan, Schwarzklaue und die anderen. Wir haben schon lange nichts mehr von ihnen gehört.«
»Wir werden es erfahren, wenn der Schnee schmilzt«, sagte Gerit und wünschte sich, es würde nie geschehen.
»Aber bist du nicht neugierig?«
Nein , dachte er und nickte. »Natürlich, aber dadurch werden wir es nicht früher erfahren.«
Auf einem der Wachtürme winkte ein Nachtschatten. Ein anderer sprang von der Mauer und ging zum Tor. Jemand kam.
Gerit spürte einen Stich, so wie jedes Mal, wenn das Tor geöffnet wurde, und atmete auf, als drei Ochsenkarren voller Gold in den Hof rollten. Nachtschatten begleiteten den Transport, aber auf den Kutschböcken saßen Menschen. Sie überwachten die Zählung des Goldes und nahmen ihren Anteil mit zurück in die Mine, so wie Korvellan es ihnen zugesichert hatte. Seit die Nachtschatten die Mine übernommen hatten, war kein Arbeiter geflohen. Sie lieferten mehr Gold als je zuvor.
»Was glaubst du, wer siegen wird?«, fragte Mamee.
»Ich weiß es nicht.«
»Und auf wen hoffst du?«
Gerit hatte sich diese Frage schon oft gestellt. Manchmal beantwortete er sie ohne Zögern mit Menschen , andere Male mit Nachtschatten .
Mamee missverstand sein Schweigen. Sie strich ihm über die Wange. »Tut mir leid. Ich sollte dich so etwas nicht fragen.«
Er griff nach ihrer Hand und küsste sie. »Ist nicht schlimm. Wir reden später darüber. Ich muss mich um die Goldlieferung kümmern.«
Er zog den schweren Mantel aus Ziegenfell an, der neben der Tür an einem Haken hing. Mamee trat vor ihn, als er die Tür öffnen wollte, und sah ihn an. »Manchmal weiß ich nicht, wer du bist.«
Er hatte keine Ahnung, welche Antwort sie von ihm erwartete, also lächelte er nur und zog die Tür auf. Kälte schlug ihm entgegen. Der Schnee knirschte unter seinen Stiefeln. Die Arbeiter verbeugten sich, als sie ihn sahen, die Nachtschatten nickten ihm nur zu.
»Hattet ihr eine gute Fahrt, Maccus?« Der kräftige, dunkelhaarige Mann, den Gerit angesprochen hatte, sprang vom Kutschbock, nickte und schüttelte Schnee von der Wolldecke, die um seine Schultern hing. »Ja, Minherr. Der Schnee hat uns nicht aufgehalten.«
Gerit sah die Nachtschatten an.
Die beiden anderen Arbeiter begannen die Strohballen abzuladen, unter denen das Gold versteckt war. Sie hießen Burek und Zjrat. Gerit hatte sich ihre Namen eingeprägt und achtete darauf, sie stets damit anzusprechen. Wie wichtig das war, hatte er während seiner Zeit in der Küche erkannt.
Zu zweit trugen die Arbeiter die Kisten voller Goldklumpen in die Küche und stellten sie neben der Tür ab. Gerit folgte ihnen. Er nahm eine in Samt eingeschlagene Waage aus dem Regal und stellte sie auf den Tisch. Sie hatte seinem Vater gehört. Er hatte die Ausbeute der Mine stets allein in seinem Gemach gewogen und die Zahlen auf Pergamentrollen eingetragen, die er eingeschlossen in einem Schreibtisch aufbewahrte. Außer ihm hatte niemand gewusst, wie viel Gold dort tatsächlich gefördert wurde. Seit Korvellan wusste es jeder Arbeiter. Bis ins Dorf hatte sich der Reichtum herumgesprochen. Fast jeden Tag tauchte jemand an der Mine auf und bat um Arbeit.
Mamee stellte Brot, Schmalz und Krüge mit heißem Gewürzwein auf den Tisch. Die Nachtschatten setzten sich nicht zu den Arbeitern, sondern blieben drinnen vor der Tür stehen, nachdem sie sie geschlossen hatten. Nebelläufer hatte ihnen geraten, Gerit nie mit dem Gold allein zu lassen. Mamee hatte es ihm verraten. Es störte ihn nicht. Er hatte nicht vor, jemanden zu
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