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Der verwaiste Thron 02 - Verrat

Der verwaiste Thron 02 - Verrat

Titel: Der verwaiste Thron 02 - Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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ihnen öffnete. Es klang wie ein Stöhnen aus Dutzenden, vielleicht Hunderten von Kehlen. Fackelschein erhellte den Gang.
    »Der Große Fluss«, sagte Cascyr hinter ihr so unvermittelt, dass sie beinahe aufgeschrien hätte. »Er spült es an, musst du wissen, mit jeder Welle.«
    Die vertraute Anrede störte Ana wie eine ungewollte Berührung, aber sie schwieg.
    »Manchmal frage ich mich, wer es als Erster entdeckt hat und wie.« Cascyr sprach salbungsvoll wie ein Priester. »Ob die Vergangenen es uns gebracht haben oder vor uns verbergen wollten.«
    Die Gardisten blieben am Eingang der Grotte stehen. Ana wurde instinktiv langsamer, aber ein plötzlicher Stoß in den Rücken trieb sie voran.
    »Weiter!«, zischte Cascyr in ihr Ohr.
    Sie stolperte in die Grotte. Sie war gewaltig, breit wie eine Festung und hoch wie die Türme Charbonts. Das Wasser des Großen Flusses unterspülte sie, rauschte mit jeder Welle in sie hinein wie Blut in ein schlagendes Herz. Zu Dutzenden knieten Männer am Boden. Verschimmelte Lumpen hingen von ausgemergelten Körpern, grünes Moos wuchs auf ihren Haaren und bedeckte ihre Haut. Gardisten gingen hinter ihnen auf und ab. Es war warm. Der Gestank nach Schweiß und Erbrochenem raubte Ana den Atem. Sie hustete.
    »Was tun sie da?«, stieß sie hervor, unfähig, ihren Ekel zu unterdrücken.
    Cascyr lächelte. »Sieh zu.«
    Eine Welle brach in die Grotte. Die Männer hoben die Köpfe, warteten, bis das Wasser wich, dann gruben sie ihre Hände in den Schlamm und schaufelten ihn sich in den Mund. Die Gardisten beobachteten sie, traten nach denen, die etwas falsch machten; was es war, konnte Ana nicht sagen.
    Die Männer kauten auf Schlamm und Steinen, spuckten einen Teil aus und schluckten einen anderen herunter. Ihr Stöhnen hallte von den Wänden wider, ihre Gesichter waren verzerrt und geschwollen. Einer zog einen Zahn aus seinem Mund und warf ihn achtlos weg.
    Die nächste Welle kam heran. Wieder hoben die Männer die Köpfe. Ana wollte sich abwenden, aber Cascyr warf ihr einen zwingenden Blick zu. Seine Augen funkelten.
    »Sieh, was der Fluss bringt.« Er bückte sich und griff in den Schlamm. Einen Moment lang glaubte Ana, er würde ihn essen, aber er rieb ihn nur zwischen den Fingern, bis schwarzer Sand übrig blieb.
    »Das«, sagte er, »ist der Stoff der Götter.« Er runzelte die Stirn. »Oder vielleicht ist es das, was übrig bleibt, wenn Götter sterben. Können Götter sterben?« Er sah Ana an, ohne eine Antwort zu erwarten. »Wen interessiert das schon. Es ist der Stoff, den die Magier aus dem Boden treten, ohne zu wissen, was sie eigentlich tun.« Er unterbrach sich erneut. »Aber ich weiß es. Der Rote König wusste es.« Cascyr hob die Schultern. »Er war dumm. Ich bin es nicht.«
    Die nächste Welle brach über die Männer herein. Das Stöhnen wurde lauter.
    »Hast du dich nie gefragt, woher die Ewige Garde kommt?«, fragte er sie. Dann schrie er die Antwort: »Von hier!« Ana fragte sich, ob er wahnsinnig war.
    Cascyr packte einen Gardisten und riss ihn auf sich zu, steckte die Hand in seinen zahnlosen Mund und zog die Lippen auseinander. »Jahrelang fressen sie den Schlamm. Er nimmt ihnen die Zähne, aber weißt du, was er ihnen gibt?« Cascyr trat dem Gardisten die Beine unter dem Körper weg. Der Mann fiel, ohne sich abzustützen. Hart schlug er im Schlamm auf.
    »Das!« Cascyr zog ein Messer aus seiner Robe und trieb es mit beiden Händen in die Brust des Gardisten.
    Ana schrie auf.
    »Und das!« Erneut stach Cascyr zu. »Und das! Und das! Und das!«
    Aus den Augenwinkeln sah Ana, wie der zweite Gardist an ihr vorbeiging. Er legte Cascyr die Hand auf die Schulter. »Das reicht wohl, Herr.«
    Der König ohne Land hielt inne. Schwer atmend steckte er das Messer zurück in seine blut-, wein- und schlammverschmierte Robe und ließ sich von dem Gardisten aufhelfen.
    »Ja«, sagte er zwischen schweren Atemzügen. »Es reicht.« Er wischte sich die Hände an der Robe ab. »Wo war ich?« Ana sah ihn nicht an. Der Gardist auf dem Boden rührte sich nicht.
    »Ach ja.« Cascyr schüttelte den Kopf, als hätte er etwas vergessen. Er schnippte mit den Fingern. »Steh auf.«
    Ruckartig setzte sich der Gardist auf. Ana starrte auf seine zerfetzte Lederrüstung, auf das Blut und die klaffenden Wunden. Ihr wurde schwindelig, der Anblick verschwamm, als wolle ihr Körper sich vor dem verschließen, was ihre Augen sahen.
    Durch das Rauschen ihres Blutes hörte sie Cascyrs Stimme. »Das, Ana

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