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Der verwaiste Thron 02 - Verrat

Der verwaiste Thron 02 - Verrat

Titel: Der verwaiste Thron 02 - Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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hatte nur mit den Schultern gezuckt. Menschen ihres Standes heirateten nicht.
    Craymorus zog an der Decke, die seine Beine bedeckte. In dem Gebetsraum war es kühler als draußen, aber trotzdem noch zu warm unter der dunklen Wolle. Er schob seine Arme darunter und hob sie an, um sich ein wenig Luft zu verschaffen.
    »Könnt Ihr nicht still sitzen?« Syrahs Stimme schnitt durch das Plätschern des Wassers. Ihre Worte waren ebenso neutral wie die Anrede, die sie benutzte.
    »Entschuldigt.« Er legte die Decke zurück und strich sie glatt. »Es ist nur nicht sehr bequem.«
    »Bequemer als über den Boden zu kriechen?«
    »Ein wenig.«
    Syrahs Mundwinkel zuckten. Sie sah ihn nicht an. Craymorus fragte sich, wie alt sie war, vielleicht fünfzehn Jahre älter als er? Rickard hatte es bestimmt einmal erwähnt, aber er konnte sich nicht daran erinnern. Verstohlen betrachtete er sie. Von Oso hatte er erfahren, dass sie nicht geweint hatte, als man sie vom Tod des Fürsten und ihres einzigen Sohns unterrichtete. Die Diener hielten sie für kalt und lieblos. Sie lachte nicht, sie weinte nicht, sie herrschte nur. Craymorus glaubte nicht, dass Balderick sein Reich Westfall jemals regiert hatte. Syrah hatte ihn seinen Feldzügen überlassen, während sie in seinem Namen Gesetze erließ.
    »Ihr starrt mich an«, sagte Syrah.
    »Ja.« Dieses Mal entschuldigte sich Craymorus nicht.
    »Was seht Ihr?«
    Die Frage überraschte ihn. Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte, also schwieg er.
    »Was seht Ihr?«, wiederholte Syrah. Als er immer noch nicht antwortete, sagte sie: »Ihr seht Westfall. Nur ich bin noch übrig. Und deshalb werde ich Euch eine Frage stellen, die einzige Frage, die ich Euch jemals stellen werde, auf die ich eine ehrliche Antwort erwarte.«
    Sie sah ihn an. Ihre blassblauen Augen waren so kalt wie ihre Stimme. »Seid Ihr bereit dazu?«
    Craymorus nickte.
    »Ist es Euch möglich, einen Erben zu zeugen?«
    Er spürte, wie sich seine Wangen röteten. »Ja …«, begann er, dann räusperte er sich. »Ja, das ist es.«
    »Gut, dann …«
    Gleißende Helligkeit unterbrach sie, als der Spiegel vor ihnen plötzlich aufleuchtete. Tausendfach brach sich das Sonnenlicht in dem, was im Halbdunkel des Raums verborgen gewesen war: Diamanten. Sie bedeckten nicht nur die Furche, sondern auch die Wände und die Decke. Craymorus hob eine Hand, drehte sie vor seinem Gesicht. Es war so hell, dass er die Knochen seiner Finger sehen konnte. Seine Augen tränten. Er schloss sie und lauschte auf die Töne des Lichts. Er hatte nicht gewusst, dass Licht singen konnte.
    »Was ist mit unseren Schwüren?«, fragte er. Seine Stimme kratzte gegen die Melodie des Lichts.
    »Es ist nicht nötig, sie auszusprechen«, sagte Syrah. Ihre Stimme war ebenso rau wie die seine. Craymorus glaubte auf einmal zu verstehen, weshalb die Götter nicht zu Menschen sprachen.
    Das Licht fiel durch seine geschlossenen Augenlider. Er dachte an den Leseraum in der Schule der Meister, an den Geruch von Pergament und Lampenöl. Dort hätte er bleiben sollen, an dem einzigen Ort, an dem er je zuhause gewesen war. Er war ein Fremder in Westfall, ein Fremder in der Welt. Sie raste an ihm vorbei wie die Stromschnellen des Großen Flusses. Er war zu langsam, sie zu schnell.
    Er bewegte die Augen unter den Lidern. Syrahs Silhouette war ein schwarzer Fleck in der Helligkeit, und doch glaubte er sie zum ersten Mal wirklich zu sehen. Beinahe hätte er gelacht, als ihm klar wurde, wie naiv er und Mellie gewesen waren.
    Sie hat uns benutzt , dachte er. Syrah hatte Craymorus zwischen sich und den König ohne Land gestellt, hatte ihn vorgeschoben, um Cascyr aus Westfall zu vertreiben. Deshalb wohl hatte sie der Heirat so schnell zugestimmt. Die Erpressung befreite sie von jeder Schuld und machte sie zur selbstlosen Herrscherin in den Augen ihres Volkes. Ein Erbe würde ihren Anspruch besiegeln und Westfalls Unabhängigkeit garantieren – wenn die Nachtschatten etwas von Westfall übrig ließen.
    Die Helligkeit verschwand so plötzlich, wie sie gekommen war, die Melodie verging. Dunkelheit hüllte Craymorus ein, löschte Syrahs Silhouette aus. Er öffnete die Augen. Er sah nichts außer wabernder Schwärze. Hinter ihm wurden die Türen geöffnet. Schritte näherten sich.
    »Macht Euch keine Sorgen«, sagte eine männliche Stimme. »Euer Augenlicht wird bald zurückkehren.«
    Schemen glitten an Craymorus vorbei. Es knirschte, als Keramik über Stein rieb. Die Schüssel ,

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