Der verwaiste Thron 02 - Verrat
den Blick von den Soldaten zu nehmen. Die Jongleure schienen sie noch nicht bemerkt zu haben.
»Ich habe billige Tricks gesehen, so wie sie auf Jahrmärkten üblich sind.«
Craymorus schüttelte den Kopf. »Nein, du hast Magie gesehen.« Die Soldaten schoben sich an den Zuschauern vorbei. »Magie, die seit langer Zeit niemand mehr benutzt hat.«
Einer der Jongleure musste die Soldaten entdeckt haben, denn er stieß den anderen an und lief los, den Hut voller Geld gegen die Brust gedrückt. Der andere warf seinen Hut den Soldaten entgegen. Münzen klimperten und blitzten im Sonnenlicht, und Menschen bückten sich danach, Soldaten stolperten.
Die beiden Jongleure stießen wie Keile in die Menge hinein. Einen Augenblick lang sah Craymorus noch ihre bunte Kleidung, dann schloss sich die Menge hinter ihnen, nahm sie in sich auf.
»Und das wissen sie.« Er wandte sich von den Soldaten ab. Sie würden die beiden nicht finden. Die Gelegenheit war vorbei.
Er bemerkte Syrahs Blick. Sie verstand nicht, was sie gerade gesehen hatte, war jedoch zu stolz zu fragen, und er würde es ihr nicht erklären.
Schweigend saßen sie nebeneinander. Es dauerte eine Weile, dann tauchte Leutnant Garrsy neben der Sänfte auf. Schweiß lief über seine Wangen. Er hielt seinen Helm in der Hand. Etwas, das wie Eintopf aussah, bildete große Flecken auf der Brust seiner Paradeuniform.
»Meine Männer suchen weiter nach den Gauklern, Herr«, sagte er zwischen kurzen Atemzügen.
»Gut.« Craymorus nickte. »Ihr müsst Euch um etwas anderes für mich kümmern. Ich brauche eine Kutsche und eine Eskorte. Morgen früh werde ich Westfall verlassen.«
Neben ihm öffnete Syrah den Mund.
»Du kannst Westfall nicht verlassen.« Mellie ging in seinem Quartier auf und ab.
Craymorus sah von den Karten auf, die er zusammengesucht hatte, und lächelte. »Syrah hat das Gleiche gesagt.«
Den ganzen Abend hatten er und die Fürstin auf ihren Ehrenplätzen nebeneinander gesessen, hatten den Gauklern zugesehen und das nicht enden wollende Festmahl ohne Genuss gegessen. Syrah hatte sich charmant und liebevoll gegeben, aber ihr Lächeln war eine Maske gewesen, ihr Lachen eine Lüge. Nach dem Essen hatte sie Craymorus unter dem Applaus der Gäste nach draußen geführt, nur um ihn im Gang stehen zu lassen und in ihren Gemächern zu verschwinden. Craymorus wusste, dass sie wütend war, auch wenn er den Grund nicht verstand.
»Du überlässt ihr das Feld«, sagte Mellie. Sie schien ebenso wütend wie Syrah. »Sie wird deine Herrschaft aushöhlen, während du weg bist. Das darfst du nicht zulassen.«
Craymorus griff nach ihrer Hand und zog sie zu sich. »Du verstehst nicht, wie wichtig das ist, was ich heute gesehen habe«, sagte er. »Diese Magie war stark wie etwas …« Er suchte nach den richtigen Worten, fand sie nicht und zuckte mit den Schultern. »Ich muss etwas gegen die Nachtschatten unternehmen. Das Volk erwartet das.«
»Es ist nicht dein Volk.« Mellie strich über seine Wange. »Vergiss das nicht.«
Sie küsste ihn, bevor er darauf antworten konnte. Er atmete ihren Geruch ein und dachte daran, wie sehr er sie vermissen würde. Er stellte jedes Mal einen Krug ins Fenster, wenn er sie sehen wollte, aber er hatte solche Angst, dass sie gefasst werden könnte, dass er häufig darauf verzichtete. Wir müssen eine andere Lösung finden , dachte er.
Später, als sie auf seinem Bett lagen und Craymorus ihre Brüste küsste, fiel ihm ein, dass dies seine Hochzeitsnacht war.
Kapitel 20
Von den Wachtürmen der prächtigen Königsfestung in den Hügeln über Srzanizar genießt man die Aussicht auf die zahlreichen Tempel der Stadt. Der größte ist der Göttin der Diebe gewidmet, was niemanden überraschen sollte.
Jonaddyn Flerr, Die Fürstentümer und Provinzen der vier Königreiche, Band 2
Ana folgte Erys durch das Gewirr der Gassen. Die Angst vor den Nachtschatten trieb sie an, verdrängte den Gedanken an Jonan. Es herrschte keine Panik in den Gassen, die sie durchquerten, nur ab und zu trafen sie auf Menschen. Ana wollte sie warnen, aber sie waren zu weit entfernt, zumindest sagte sie sich das.
Erys schwieg, blieb aber manchmal stehen und sah nach Norden, wo roter Feuerschein einen neuen, fremden Morgen schuf. Das Tuch vor ihrem Gesicht verbarg jedes Gefühl.
Nach einer Weile verließen sie die kleinen Gassen und bogen nach rechts in eine Straße ab, die gepflastert und breit genug für zwei Karren war. Unbeflaggte Fahnenmasten
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