Der verwaiste Thron 03 - Rache
des Sturms, sondern warme und lebendige. Er wurde aus dem Sattel gezogen.
»Macht Wasser heiß, und lasst ein Bad ein!«, rief eine Stimme. Gerit erkannte sie. Mamee.
Er öffnete die Augen. Der Himmel über ihm war dunkel und wolkenverhangen. Es war Nacht in der Festung Somerstorm.
Jemand trug ihn in die Küche. Er hörte das Klappern von Geschirr und rasche Schritte. Mamee beugte sich über ihn und begann seine nassen Pelze auszuziehen.
»Wir haben den Sturm im Norden gesehen«, sagte sie. »Ich hatte Angst um dich.«
Gerit fielen die Augen zu. Er war so müde, dass er ihren Worten kaum folgen konnte. »Wer hat mich hergebracht?«
Er musste die Frage zweimal wiederholen, bis Mamee sie verstand.
»Niemand«, sagte sie. »Du hast es allein geschafft.«
Nein , dachte Gerit, das habe ich nicht.
Er erwachte. Graues Licht fiel in das Zimmer. Die Felle, mit denen man ihn zugedeckt hatte, waren schwer und rochen nach schlecht gegerbtem Leder. Er genoss ihre Wärme.
Mamee saß neben ihm auf einem Kissen. Sie hatte die Beine angezogen und stützte das Kinn auf die Knie. »Ich bin sehr stolz auf dich«, sagte sie, als er die Augen öffnete. »Alle hier sind stolz, sogar Nebelläufer.«
Gerit schüttelte den Kopf. »Ich habe nichts getan, was Stolz verdient. Ich habe auf meinem Pferd gesessen und gefroren.«
»Du hast gekämpft. Es war ein schwerer Sturm, aber du hast ihn besiegt.« Sie streckte die Beine aus und lächelte.
»Nein, das habe ich nicht.« Er setzte sich auf. Man hatte ihn in eines der Zimmer im Gästeflügel gebracht, nicht in die Küche, wo er normalerweise schlief. Er fühlte sich dort wohler als im Haupthaus.
»Ich war viel zu weit weg«, fuhr er fort. »Ich müsste tot sein.«
»Aber das bist du nicht, also hast du gesiegt. Es gibt keine andere Möglichkeit, also wieso sträubst du dich so dagegen?«
Weil es unmöglich wahr sein kann , dachte Gerit, sprach den Gedanken aber nicht aus. »Ich weiß es nicht«, sagte er stattdessen.
Mamee strich ihm über die nackte Brust. »Dann freue dich über deinen Sieg und über dein Leben.«
»Das werde ich.« Gerit lehnte sich zurück und schloss die Augen.
Das Bett bewegte sich, als Mamee aufstand, dann hörte er, wie die Tür leise geschlossen wurde.
Er öffnete die Augen und schlug die Felle zurück. Der Himmel jenseits des Fensters war so wolkenverhangen, dass es ihm schwerfiel, die Tageszeit zu schätzen.
Vormittag , dachte er, vielleicht schon Mittag.
Mamee hatte frische Kleidung über einen Stuhl gehängt: lange Unterwäsche, ein dunkles Hemd aus schwerem Stoff, eine pelzbesetzte Jacke und eine Lederhose. Die Sachen passten, obwohl sie ihm nicht gehörten. Er zog seine gefütterten Stiefel an und öffnete vorsichtig die Tür. Der Gang war leer.
Gerit ging durch den ganzen Flügel, ohne einem Nachtschatten zu begegnen. Die meisten hielten sich wie er in den ehemaligen Sklavenquartieren auf. Ihnen schien die Enge zu gefallen.
Er betrat einen breiten, holzvertäfelten und mit Teppichen ausgelegten Gang. Wie aus dem Nichts tauchte eine Erinnerung in ihm auf: Ana und er, balancierend auf den schmalen goldenen Rändern der Teppiche. Sie hatten sich vorgestellt, es gäbe Abgründe auf beiden Seiten der Ränder. Ein falscher Schritt und man war tot.
Wie recht wir hatten , dachte Gerit.
Er blieb stehen und drückte gegen eine Holzvertäfelung, die sich in Nichts von den anderen unterschied. Es knirschte, dann schwang sie auf. Gerit kletterte in den schmalen Gang dahinter.
Als kleiner Junge hatte General Norhan, der engste Berater seines Vaters, ihm die Gänge gezeigt. Sie zogen sich durch die gesamte Festung und unter dem Innenhof entlang. Der erste Fürst von Somerstorm hatte die Gänge beim Bau der Festung angelegt, aus Angst vor Überfällen. Die Nachtschatten wussten von dem Gangsystem, interessierten sich jedoch nicht dafür.
Gerit kletterte über die alten Holzleitern nach unten. Es war dunkel, aber er brauchte kein Licht. Er hatte als Kind ganze Tage in den Gängen zugebracht, war nur herausgekommen, um zu essen und zu lernen. Wahrscheinlich gab es niemanden, der sie so gut kannte wie er.
Rickard hatte er in einem Ochsenkarren versteckt unter Säcken von Maka-Wurzeln bis zu den Stallungen gebracht. Dort gab es Gänge, die zu einigen kleinen Räumen unterhalb der Festungsmauer führten. Gerit vermutete, dass dort einmal Waffen gelagert worden waren.
Er lief durch einen dunklen Gang. Es roch nach Holz und Erde. Am Ende des Gangs
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