Der verzauberte Turm
Sturmbringer schmetterte hindurch, und der letzte Lord von Melnibone betrat einen erleuchteten Raum, in dem eine eiserne Truhe stand.
Sein Schwert durchtrennte die Eisenbänder, die die Truhe schützten, und er klappte den Deckel auf und sah, daß viele Wunder in der Truhe lagen, wie natürlich auch der Beutel aus Goldtuch; dennoch griff er nur nach dem Beutel und steckte ihn in seinen Gürtel, während er bereits aus dem Gemach eilte, zurück zu den Befestigungsmauern, wo der Vogel aus Silber und Gold stand und mit dem Stahlschnabel an dem Kadaver von Theleb K'aarnas Diener herumzupfte.
Als Elric auftauchte, hob das Wesen den Kopf.
In seinen Augen stand ein beinahe humorvoller Ausdruck.
»Also, Herr, wir müssen schnell nach Kaneloon zurück.« »Aye.«
Elric war von Übelkeit geschüttelt. Sein Blick war düster, als er den Kadaver betrachtete und die Kraft in sich fühlte, die er dem Dämon gestohlen hatte. Eine solche Lebenskraft, worum es sich dabei sonst auch handeln mochte, mußte verdorben sein. Nahm er nicht auch etwas von dem Bösen des Dämons in sich auf, wenn sein Schwert seine Seele aufsaugte?
Er wollte schon in den Onyxsattel steigen, als er zwischen den schwarzen und gelben Eingeweiden, die über die Fliesen verstreut lagen, etwas blitzen sah. Es war das Herz des Dämons - ein unregelmäßig geformter tiefblauer, purpurner und grüner Stein. Es pulsierte noch immer, obwohl sein Eigentümer tot war.
Elric bückte sich und nahm das Gebilde zur Hand. Es war naß und so heiß, daß er sich daran beinahe die Hand verbrannte, doch er steckte es in seinen Beutel und stieg schließlich auf den Rücken des Vogels aus Silber und Gold.
Über sein knochenweißes Gesicht huschte ein Dutzend seltsamer Empfindungen, während er sich von dem Vogel wieder über das Kochende Meer tragen ließ. Sein milchweißes Haar flatterte hinter ihm, und er achtete nicht auf die Wunden, die er am Arm und auf der Brust erlitten hatte.
Er dachte an andere Dinge. Einige Gedanken lagen in der Vergangenheit, andere in der Zukunft. Und er lachte zweimal bitter auf, und seine Augen vergossen Tränen, und einmal sagte er:
»Ach, welche Qual ist doch dieses Leben!«
Siebentes Kapitel
Der Schwarze Zauberer lacht
Kaneloon erreichten sie am frühen Morgen, und in der Ferne sah Elric eine mächtige Armee, die den Schnee verdunkelte, und er wußte, daß dies die Horden der Kelmain sein mußten, angeführt von Theleb K'aarna und Prinz Umbda, auf dem Vormarsch gegen das einsame Schloß. Der Vogel aus Gold und Silber landete flatternd im Schnee vor dem Eingang des Schlosses, und Elric stieg ab. Im nächsten Augenblick hatte sich der Vogel wieder in die Luft erhoben und war verschwunden.
Diesmal war das große Tor des Kaneloon-Schlosses versperrt, und Elric raffte den zerrissenen Mantel um seinen nackten, blutbesudelten Oberkörper, hämmerte mit den Fäusten gegen das Tor und zwang einen Schrei über seine trockenen Lippen.
»Myshella! Myshella!«
Niemand antwortete.
»Myshella! Ich bin mit dem Gesuchten zurück!«
Er fürchtete, daß sie in ihren Zauberschlaf gesunken war. Er blickte nach Süden - die schwarze Woge hatte sich dem Schloß weiter genähert.
»Myshella!«
Dann hörte er, wie ein Riegel zurückgezogen wurde. Das Tor öffnete sich ächzend, und auf der Schwelle stand Mondmatt, das Gesicht angespannt, und in den Augen etwas, von dem er nicht zu sprechen wagte.
»Mondmatt! Wie bist du hierhergekommen?«
»Ich weiß es nicht, Elric.« Mondmatt trat zur Seite, so daß Elric eintreten konnte. Er legte den Riegel wieder an Ort und Stelle. »Gestern nacht lag ich in meinem Bett, da kam eine Frau zu mir -dieselbe Frau, die wir hier schlafen sahen. Sie sagte, ich müsse sie begleiten. Irgendwie habe ich das auch getan. Aber ich weiß nicht, wie, Elric. Ich weiß nicht, wie.«
»Und wo ist diese Frau?«
»Wo wir sie zuerst gesehen haben. Sie schläft, und ich kann sie nicht wecken.«
Elric tat einen tiefen Atemzug und berichtete kurz, was er über Myshella und die Armee wußte, die ihr Schloß Kaneloon angreifen wollte.
»Kennst du den Inhalt des Beutels?« wollte Mondmatt wissen.
Elric schüttelte den Kopf und öffnete den Beutel, um hineinzuschauen. »Scheint nur ein rosafarbenes Pulver zu sein. Aber es muß sich um einen mächtigen Zauber handeln, wenn Myshella annimmt, damit könne man die ganze Kelmain-Horde besiegen.«
Mondmatt runzelte die Stirn. »Aber sicher muß Myshella den Zauber selbst bewirken, wenn nur
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