Der Veteran: Roman
wenig zu inhalieren, bevor Balor sie mir wieder wegnehmen musste. Offenbar sah ich furchtbar aus. Ich war kaum mehr als ein schlaffer Hautsack voller Maschinenteile und innerer Organe, die sich langsam auflösten. Das Seltsame war, dass ich in Balors Gesicht keine Spur von Mitleid oder Abscheu erkannte, sondern eher
Entschlossenheit und noch etwas anderes, vielleicht Furcht. Ich nippte vom Whisky. Er schmeckte mir nicht einmal, er tat nur weh. Welche Verschwendung!
»Was wird das, meine Totenwache?«, fragte ich.
Er lächelte nicht. Das machte mir Sorgen.
»Du wirst sterben«, sagte er.
»Ach, wirklich?«, sagte ich, während ich mich fragte, worauf dieses Gespräch hinauslaufen würde, und mich darauf vorbereitete, Hilfe zu rufen.
»Du solltest nicht auf diese Weise sterben«, sagte er.
Darauf erwiderte ich nichts. Ich starrte ihn nur an. Er zog sein Messer aus der Scheide an der Ferse und legte es auf den Tisch neben dem AutoMed. Danach zog er seine Schrotpistole und legte sie ebenfalls auf den Tisch. Schließlich nahm er noch eine alte Pillendose aus rostfreiem Stahl aus der Tasche seiner abgeschnittenen Militärhose und stellte sie dazu.
Ich betrachtete die drei Gegenstände, bis ich den Blick wieder auf Balor richtete.
»Alle haben großes Mitleid mit dir, aber niemand ist bereit, irgendetwas für dich zu tun«, sagte er.
Ich setzte mich auf, was mich ziemlich anstrengte. Wenn Mudge mich für die Mission fit machen wollte, sollte er lieber einen verdammt guten Drogencocktail zusammenstellen. Ich blickte ihm genau in sein Auge, in die reptilienartige Linse.
»Ich werde genauso wie jeder andere im Einsatz sterben«, sagte ich. »Wenn ich mein Leben beenden wollte, würde ich es selber tun. Verstanden?«
Für einen scheinbar sehr langen Zeitraum sagte Balor nichts. Er musterte mich, schätzte mich ab, versuchte zu einer Entscheidung zu gelangen.
»Was …«, begann er und verstummte gleich wieder.
»Was ist, wenn ich zu schwach bin, um in den Einsatz zu gehen?«, sprach ich seinen Gedanken aus.
Er nickte.
»Ich bin sowieso schon tot, also müsst ihr eure Zeit nicht damit vergeuden, auf mich aufzupassen. Und solange ich noch einen Abzug betätigen kann, werde ich euch helfen. Aber das ist es gar nicht, was dir Sorgen macht, nicht wahr?«
Balor schüttelte den Kopf, und seine Sensor-Dreadlocks peitschten durch die Luft. »Ich mag es nicht, einen Krie…«
»Soldaten«, unterbrach ich ihn, worauf er mich verdutzt ansah. »Ich bin beziehungsweise war ein Soldat, und selbst das nur widerstrebend. Lass mich mit deinem Krieger-Scheiß in Ruhe. Spar es dir für Rannu auf.«
»Ich mag es nicht, einen Soldaten in einem solchen Zustand zu sehen«, sagte er.
Ich schaffte es, noch einmal vom Whisky zu nippen, bevor ich das Glas mit Blut wieder auffüllte. Dann sah ich Balor an, der riesig und leidenschaftslos neben meinem Bett saß.
»Du hast tatsächlich Angst vor mir, nicht wahr?«, sagte ich. »Ich meine, davor.« Ich deutete auf das mit Wunden übersäte Wrack, das noch von meinem Körper übrig war. »Das ist so ziemlich deine größte Furcht, oder?«
Er sagte nichts. In diesem Moment kam mir der Gedanke, dass Balor genauso wie all die anderen Soldaten, die sich als Monster verkleideten, irgendetwas überkompensierte, vor irgendetwas flüchtete, sich vor irgendetwas versteckte. Er schaffte es nur besser als all die anderen.
»Warum bist du hier?«, fragte ich. »Von uns allen hättest du am meisten zu verlieren - jetzt vielleicht auch Mudge, aber er ist viel zu bedröhnt, um sich darüber Gedanken zu machen.«
»Loyalität«, sagte er.
»Blödsinn! Wenn du schon einem Sterbenden einen Gefallen tun willst, dann belüg mich wenigstens nicht.«
Er starrte mich an. Ich glaube, ich hatte ihn wütend gemacht, aber es war nicht die gespielte Wut, die er vor seinen Kumpels
zur Schau stellte. Ich hatte wirklich einen empfindlichen Nerv getroffen.
»Weil ich glaube, dass wir etwas verändert haben«, stieß er schließlich durch die zusammengebissenen Haizähne hervor.
»Aber es klingt nicht so, als wärst du darüber erfreut«, sagte ich.
»Doch. Das ist schließlich der Grund, warum wir Krieger sind«, sagte er.
Ich konnte ihm nicht folgen, hatte aber genug davon, mir diesen Krieger-Rechtfertigungsschwachsinn anzuhören.
»Fang nicht schon wieder mit diesem Krie…«, begann ich.
»Nein, jetzt bist du still«, sagte Balor. »Es ist mir egal, was du von meinen Überzeugungen hältst, aber ist das
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