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Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Titel: Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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blickte von ihrem Buch auf und rezitierte einfach das, was sie gerade gelesen hatte. Denn wo das Strenge mit dem Zarten, wo Starkes sich und Mildes paarten, da gibt es einen guten Klang. Friedrich Schillers Lied von der Glocke, ihr Bindeglied, Anfang und Ende. Später hatte Marta ihm gestanden, dass sie die Zeilen als Wink des Schicksals aufgefasst hatte. Als Vorausdeutung ihrer Unzertrennlichkeit.
    Doch Valerie war nicht Marta. Sie hatte genau in dem Moment weggeschaut, als Johan den Mund öffnete, machte sich unerreichbar. Er starrte auf ihren Hinterkopf und brachte keine Silbe heraus. Seither zog er solche Annäherungsversuche nicht mehr in Betracht. Wenn die Menschen lieber schwiegen als redeten, war ihnen nicht zu helfen.
    Johan durfte sich keine Willkür erlauben. Valerie blieb auf der Liste, punktum. Mit des Geschickes Mächten ist kein ew’ger Bund zu flechten, ergänzte Marta.
    Und das Unglück schreitet schnell, setzte Johan hinzu.

    Nachdem sie den Eisläufern eine Weile zugesehen hatten, tranken sie an einer Bude einen Becher Glühwein. Dann liehen sie sich Schlittschuhe. Es war so ein Novemberabend, an dem man die Dunkelheit nach einem endlos trüben Tag herbeisehnte, ein Abend, wo die Konturen im Licht der Weihnachtsdekoration verschwammen. Die Stadt platzte aus allen Nähten. Ihre Bewohner schienen sich alle zugleich ihre Dosis Advent einverleiben zu wollen. Es herrschte eine Spannung, die trotz des dicht gedrängten Passantenstroms nicht gehetzt wirkte. Die Menschen bummelten ein wenig und nahmen dabei all die anheimelnden Eindrücke in sich auf, die sie seit ihrer Kindheit regelmäßig heraufbeschworen. Es würde nicht lange dauern, bis sie genug davon hatten. Bis dahin genossen sie es nach Kräften.
    Raupach war froh, dass Photini ihn mitgenommen hatte. Früher hatte er den künstlichen Trubel an sich vorüberziehen lassen. Jetzt begab er sich bewusst hinein. Es blieben mehr als vier Wochen, das Jahr zu beschließen. Er wollte ihm noch einige positive Seiten abgewinnen.
    Die Eisfläche war voller Leute. Photini kurvte vor ihm her, vollführte eine elegante Drehung, lief rückwärts. Sie amüsierte sich über sein erstauntes Gesicht. Das hatte er ihr wohl nicht zugetraut.
    Er folgte ihr, so gut er konnte. Seine Knöchel knickten immer wieder nach innen. Als er mit einer Kufe wegrutschte, war sie neben ihm und half ihm auf die Beine.
    »Du kannst aber gut Eis laufen«, sagte er. »Ich dachte, die Winter in Griechenland sind dafür zu warm.«
    Er konnte diesen Anspielungen auf Photinis Herkunft einfach nicht widerstehen. Dabei wusste er genau, dass sie ihr gesamtes Leben in Bonn und Köln verbracht hatte und nur einmal im Jahr nach Griechenland fuhr, um ihre Großeltern auf dem Peloponnes zu besuchen. Sie kannte den deutschen Winter, seit sie denken konnte. Und sie konnte es nicht leiden, wie eine Ausländerin behandelt zu werden.
    »In welchem Jahrhundert lebst du eigentlich, Raupach? Haben sie in deiner kleinen Welt schon den Kühlschrank erfunden?«
    »1881 wurde die erste Kunsteisbahn in Deutschland gebaut. Das ist so ungefähr meine Zeit.«
    »Viel zu hektisch. Du wärst niemals klargekommen. Stell dir vor, damals fuhren schon Straßenbahnen.«
    »In Köln nicht, da gab es 1881 noch Pferdebahnen. Wahrscheinlich hatten sie in Athen eine Eselbahn.«
    »Du bist politisch unkorrekt«, stellte Photini fest.
    »Stört dich das?«
    »Das zeigt nur, dass du ziemlich –«
    Ihre Schulter wurde herumgerissen. Sie schlug der Länge nach hin. Offenbar hatte sie jemand angerempelt. Raupach sah eine Gruppe feixender Teenager an der Bande stehen. Ein Junge mit einer dicken Pudelmütze entfernte sich mit ein paar schnellen Schritten und fuhr mit hoher Geschwindigkeit auf die Jugendlichen zu. Er bremste scharf ab. Eine Wolke aus Eis stob hoch. Dann gesellte er sich zu ihnen. Es waren drei Jungen, fünfzehn oder sechzehn Jahre alt, und drei deutlich jüngere Mädchen.
    Photini rappelte sich hoch und rieb sich den Ellenbogen. Sie rief dem Jungen zu, ob er nicht aufpassen könne. Er grinste breit, die Mädchen kicherten albern. »Sind eure Spatzenhirne auf Betriebstemperatur?«, fragte Photini und tippte sich an die Stirn. »Oder herrscht da oben Eiszeit?« Daraufhin lösten sich die Jungen aus der Gruppe und kamen auf Photini zu.
    Sie stellte sich breitbeinig hin und stemmte die Kufen ihrer Schlittschuhe ins Eis. Eines der Mädchen rief: »Pass doch selber auf, dumme Pute!« Der Junge mit der Pudelmütze gab dem

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