Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
von mir? Dass ich ihn öffentlich abserviere? Das wäre für die Medien ein gefundenes Fressen. Es würde das Vertrauen in die Polizei erschüttern. Zu diesem Zeitpunkt völlig undenkbar!«
»Ich brauche eine Sonderkommission«, sagte Raupach. »Woytas soll bleiben, wo er ist. Aber wir wollen in dieser Sache das Sagen haben.« Er wies auf Heide, die ihm aufmunternd zuzwinkerte und mit Befriedigung zusah, wie er seinen Standpunkt vertrat. Ein neuer Raupach.
»Übergeordnete Kompetenzen?«, fragte Himmerich.
»Nur in diesem Fall«, erwiderte Raupach. »Oder in diesen Fällen, das wird sich erweisen.«
»Ihr Hang zu differenzieren hat mir schon immer gefallen, Klemens.«
»Sie können mir die Soko nicht abschlagen, Himmerich, das wissen Sie. Ich werde mit Woytas zusammenarbeiten, er ist ein guter Mann, wenn er nur nicht dauernd an seine Karriere denken würde.«
»Sie mögen mich nicht, oder?«
»Nein.«
»Warum?«
»Sie haben mich im Stich gelassen. Mehrmals. Das macht man nicht mit den eigenen Leuten.«
»Sie ließen mir keine Wahl.«
»Sie hatten kein Vertrauen.«
Himmerich wusste nichts zu erwidern. Raupachs Rehabilitierung lag vor ihm. Er hatte sie bereits unterzeichnet. »Keine kluge Bemerkung zum Abschluss, Raupach? Sie möchten doch immer das letzte Wort haben.«
»Das ist noch nicht gesprochen.«
12. Dezember
Drei Tage. So lange hatte sich seine Einsetzung als Leiter der neuen Sonderkommission hingezogen. Für Kölner Verhältnisse war das äußerst respektabel, aber Raupach befürchtete, dass ihm diese drei Tage noch einmal fehlen würden, wenn es auf den 23. Dezember zuging. Der schwerfällige Polizeiapparat war ein Hindernisparcours, der selbst mit Ausnahmebefugnissen nicht so einfach zu umgehen war. Wenn Raupach einmal Zeit für Experimente hätte, irgendwann im neuen Jahr, würde er seinen Flusskiesel auf den Dienstweg schicken. Er war überzeugt, dass er nach einer entsprechend langen Zeitspanne als vollkommen runde Murmel zu ihm zurückkäme.
Johan Land war wie vom Erdboden verschluckt. Als hätte sich eine Spalte aufgetan und den Buchhändler verschlungen. Köln schien voller solcher Spalten zu sein. Gunter Aalund galt immer noch als unauffindbar. Seine letzte registrierte Wohnung hatte sich in einem Haus befunden, das abgerissen worden war. Wenn sich jemand in dieser Stadt verstecken wollte, boten sich ihm sogar im Winter Hunderte von Möglichkeiten. Alte Fabrikhallen, baufällige Wohnblocks, die Polizeistreifen hatten unter Heides Instruktion alle Hände voll zu tun. Aalund – oder Land – konnte sogar in Raupachs Nachbarhaus untergetaucht sein. Im Untergeschoss befand sich eine uralte Pianohandlung. »An- und Verkauf von Klavieren und Flügeln« war auf dem zerkratzten Schild zu lesen, die Räume standen leer. Das Türschloss war leichter zu öffnen als die Sparschweine, die es in den Banken bei der Eröffnung eines Kinderkontos gab. Falls Raupach bei diesem Fall die Nerven verlieren sollte, würde er als letzte Weisung eine Razzia in der Pianohandlung anordnen.
Das Hauptquartier der Sonderkommission lag zwei Stockwerke unter Himmerichs Reich. Es war in einem noch leeren Flügel einer noch weitgehend unbenutzten Etage des Präsidiums untergebracht. Der Umzug von der alten Hauptwache nach Kalk ging immer noch schleppend voran, von der Zusammenfassung ehemals »dislozierter Abteilungen«, wie es im Verwaltungsjargon hieß, ganz zu schweigen.
Raupach saß in einem Büro, das niemand haben wollte. Kein großer Fortschritt zum Archiv, dachte er, aber er hatte einen schönen Blick auf die Kölnarena und die Messe. Deren zusammengeschusterte Gebäude vereinten eine Hässlichkeit in sich, die ihn daran erinnerte, dass er nicht zum Vergnügen auf diesen Posten berufen worden war.
Photini nannte das Hauptquartier den »Taubenschlag«. Nicht weil viele Leute ein- und ausgingen, das hatte sich Raupach verbeten. Sondern weil nach dem Verlegen der wichtigsten Leitungen und der Installation der Computer noch nicht sauber gemacht worden war. Überall lagen Kabelstücke, Kunststoffabfall und Verpackungsmüll herum, eine dünne Staubschicht bedeckte die Arbeitsplätze.
Neben einer Hand voll Büros gab es ein Konferenzzimmer. Alle mieden es wegen der Bestuhlung. Raupach legte wenig Wert auf Bequemlichkeit, aber wenn er auf einem Designerobjekt saß, konnte er keinen klaren Gedanken fassen. Deshalb fanden die Besprechungen meist in seinem Büro statt. Er hatte auf einen lächerlich kleinen,
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