Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
Psychiatrie davonkamen. Valerie selbst war ein Entführungsopfer, eigentlich hatte sie nichts zu befürchten. Aber da waren immer noch Jef und das Kissen. Dieser Kommissar hatte ihr Leben sicher schon auf den Kopf gestellt, ihre Schonzeit war vorüber. Sie war eine Mörderin. Das würden sie garantiert ausgraben, es war nicht mehr zu ignorieren. Zur Polizei konnte sie nicht gehen.
»Du hast Marta vertrieben!« Seine Hand an ihrem Nacken. Er packte sie wie ein Kaninchen.
Sie musste nur das Tagebuch irgendwie an die Zeitungen verhökern. Informantenschutz. Doch was sollte sie bis dahin tun? Sie musste auf den richtigen Zeitpunkt warten, um zu verschwinden. Aber was, wenn dieser Zeitpunkt nicht kam? Wenn Johan sie in seinen aberwitzigen Anschlag hineinzog? Dann konnte alles passieren.
War es besser, ihn von seinem Vorhaben abzubringen? Sie befand sich bereits auf dem besten Weg, hatte sein Vertrauen gewonnen. Das schwankte zwar beträchtlich –
Ein Schlag mit der flachen Hand. Ihre Wange brannte. »Wegen dir hab ich sie fortgeschickt.«
Mach weiter, Val. Rühr bloß nicht den Aktenkoffer an, den er mit sich herumschleppt. Zeig guten Willen.
»Nein, Johan, jetzt ist es anders.« Er hob wieder den Arm. Sie hielt sein Handgelenk fest und brachte ihr Gesicht dicht vor seines. Sie wusste, dass sie derzeit kein schöner Anblick war. »Du brauchst sie nicht mehr.«
Sie hatten es schon einmal probiert, dachte sie. Damals hatte Marta noch zwischen ihnen gestanden.
»Sie ist weg«, setzte sie hinzu. »Hab keine Angst.«
Langsam entspannte er sich. In dem Zimmer in der Sechzigstraße befand sich kaum mehr als ein luxuriöses Bett mit Messinggestell, daneben stand ein billiger Radiowecker. Das Haus war baufällig, es sollte abgerissen werden, Jasmina und ihr Arzt würden sich bald etwas Neues suchen müssen.
Valerie machte es nichts aus, dass er sie geschlagen hatte. »Siehst du den Mond?« Sie deutete auf einen Spalt zwischen Vorhängen, die seit langer Zeit nicht mehr gewaschen worden waren. »Sonst gibt es nichts da draußen.«
Johan war nicht Jef. Er war verrückt, aber das ließ sich ein Stück weit geradebiegen. Darin war sie gut, stellte sie überrascht fest. Sie hatte schon viel erreicht. Aus Ehrgeiz. Oder Selbstschutz.
»Lehn dich zurück.«
Würde sich das strafmildernd auswirken? Bestimmt. Tat sie es unter Zwang? Nein. Sie mochte ihn, trotz allem, konnte nicht aus ihrer Haut. An Kummer war sie gewohnt. Es war wie ein Leben am Fuße eines aktiven Vulkans. Sheila war gut in Geographie, sie hatte all die Namen in der Schule gelernt, Ätna, Vesuv, Stromboli. Valerie dachte an die Sauna. An die Massage. An Johans Hände, die zärtlich sein konnten, wenn sie genau wussten, wen sie berührten. Auch ihre Hände konnten zärtlich sein.
»Gut so?«
Sie würde es sich niemals verzeihen, wenn sie es nicht ein letztes Mal versucht hätte. War das erniedrigend? Die meisten Frauen, die sie kannte, machten es aus weitaus geringeren Gründen. Einfach so, um nicht als Zicken dazustehen. Um jede Gelegenheit zu ergreifen. Oder aus schierer Verzweiflung. Für ein bisschen Lust und in der Hoffnung auf die Dinge danach. Die selten kamen.
Johan verzog das Gesicht und drehte sich auf die Seite. Die Bettfedern ächzten.
Sie ließ ihren Fingern freien Lauf. Betrachtete das Lilienmuster auf der Tapete. Die Risse in der Decke. »Wen willst du? Die Frau im Tunnel? Oder die Frau neben dir?« Er hatte die Wahl.
»Weiß nicht.« Er ließ sie machen.
Valerie knöpfte mit der anderen Hand ihre Bluse auf, schob das Hemd an seinem Rücken hoch und rieb sich an ihm, ließ ihn ihre Haut spüren. Sprach Worte in sein Ohr, die er noch nie gehört hatte. Sie verfluchte die Vergangenheit, mit den schlimmsten Verwünschungen, die ihr einfielen. So war sie Jef losgeworden, als das gerichtliche Verfahren eingestellt worden war. Wär doch gelacht.
Als er sich umdrehte, hatten beide gewonnen. Mit den Kleidungsstücken, die sie noch anhatten, hielten sie sich nicht lange auf. Sie staunte, wie vorsichtig er trotz aller Eile war. Dann nannte er sie beim Namen. Leise, sie durften keinen Lärm machen.
»Valerie.«
Er sagte es noch einige Male. Es strömte aus ihm heraus. Sie hätte es auch dann gehört, wenn er nur die Lippen bewegt hätte.
Sie biss in das Kopfkissen, wieder und wieder. Es ging in Fetzen. Federn stoben hoch und blieben an ihren Körpern kleben. Valeries Keuchen hielt einige von ihnen in Bewegung. Sie verharrten in der Luft, die
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