Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
einen dummen Zufall damit an und kommen nicht mehr davon los.«
»Wir können Land nicht völlig ausschließen, ebenso wenig Valerie Braq. Vielleicht wusste sie doch von dem Missbrauch ihrer Tochter.« Raupach konnte sich nur schwer vorstellen, dass einer Mutter so etwas entging. Waren ihr Sheilas Unterwäscheberge nicht aufgefallen? Oder war der Schrank ihrer Tochter für sie tabu? Wenn Sheila jeden Slip, den sie vor und nach einem Missbrauch trug, in die Mülltonne warf, konnte Valerie Braq tatsächlich ahnungslos sein.
»Und Aalund?«, fuhr Raupach fort. »Er hat den Lieferwagen verschwinden lassen. Dadurch hat er den Mord an Lübben vertuscht. Er ist der Hauptverdächtige. Mit ihm hat sich der Unbekannte bei dem Gartenhaus in Mauenheim angelegt. Aalund hat ihn angeschossen.«
»Die übliche Palette, erweitert um den Unbekannten«, sagte Heide. »Es gibt einen ersten Mörder, vielleicht einen zweiten, dritten.«
»Oder einen vierten. Bei allen Todesfällen können mehrere Personen beteiligt gewesen sein. Nichts spricht dagegen.«
»Wir drehen uns wieder im Kreis.«
»In einer ganzen Menge Kreise«, sagte Raupach.
Die Ermittler begaben sich wieder nach Nippes. Photini, Heide und Woytas teilten das Viertel und einen Teil der angrenzenden Bezirke unter sich auf. Sie wollten jeder für sich arbeiten und verzichteten darauf, in Gruppen loszuziehen. Nach den Razzien würde ein großes Polizeiaufgebot die Leute noch mehr verunsichern und sie nicht gerade auskunftsbereiter machen.
Photini hatte eine gehörige Wut im Bauch. Sie würde diesen Mio finden. Caberidis, Vorderbrügge und Himmerich legten die Regeln nach Belieben aus. Karrierestreben, Korruption und Inkompetenz – aus diesen Zutaten setzte sich jene Polizei zusammen, die sie verachtete. Photini wollte die Regeln aus anderen Gründen brechen. Und mit anderen Mitteln.
Sie wartete, bis Lili Kallrath das Haus verließ. Das Mädchen, das auch auf der Eisbahn gewesen war, Sheilas beste Freundin. Sie hatte Mio in ihrer Aussage mit keinem Wort erwähnt. Photini folgte ihr. Es war Sonntagnachmittag, die Kinder hatten bereits Weihnachtsferien. Lili war allein unterwegs. Ihr Gang war zielstrebig.
Raupach führte ein vertrauliches Gespräch mit Effie Bongartz. Sie klärte ihn über ein Indiz auf, das er am 8. Dezember eigenmächtig in seinen Besitz gebracht hatte. In der Nähe des ausgebrannten Wagens der Linie 5 war ihm auf dem Rasen ein dunkler Fleck aufgefallen, umgeben von unregelmäßigen Löchern im Boden. Es war Motorenöl, wie ihm Effie jetzt versicherte, und zwar synthetisches. Gut für häufige Kaltstarts im Winter, mit hoher Viskositätsspanne, ideal für Motorräder. Raupach bat Effie um noch genauere Angaben. Ob sie im Labor die Sorte des Motoröls herausfinden könne. Er musste sichergehen, bevor er weitere Schritte unternahm.
»Das dauert.«
»Hoffentlich nicht länger als zwei Tage. Es ist dringend. Und behalten Sie es weiter für sich.«
»Und die Tatortanalyse in Mauenheim?«, fragte Effie.
»Drängt auch.«
Gegen Mittag wollte er mit Heide unter vier Augen reden. Für ein gemeinsames Essen in der Kantine fehlte die Zeit. Heide war nur ins Präsidium gekommen, um sich mit einer Kanne Kaffee und einem gewissen geheimen Vorrat aus ihrem Spind zu versorgen.
Sie standen auf dem Parkplatz des Präsidiums. Heide roch nach Schnaps.
»Ich hab’s versucht, Klemens. Drei lange Tage hab ich durchgehalten. Es ist schrecklich, seine Sorgen im Alkohol zu ertränken.« Sie holte einen Flachmann aus ihrem Mantel und nahm einen kräftigen Schluck. »Nimm’s mir nicht übel, du weißt, dass ich auch so funktioniere.«
»Was ist los?«
»Das willst du nicht wissen.«
»Es ist wegen Paul. Es geht dir nahe.«
»Ja doch!« Sie stieß ihn weg. »Was interessiert es dich?«
»Das fragst du?«
Heide lächelte wie ein Gefangener, dem der Freigang im Hof gestrichen worden war. Es war keine schöne Grimasse. »Ich bin ihm zu alt und zu langweilig. So lautet seine Begründung, wortwörtlich. Paul ist ein Kotzbrocken, aber wenigstens ein ehrlicher.«
»Nicht gerade die feine englische.«
»Deshalb war ich ja mit ihm zusammen! Raue Schale, du verstehst? Hey, Klemens, ich hab nicht die Brüste von Effie oder den Hintern von Fofó. Ich bin nun mal kein Teenager mehr.«
»Das würde auch kein normaler Mann von dir verlangen.«
Sie machte eine Pause und nickte dann heftig. »Danke. Ich glaub, Paul tickt nicht richtig.«
Jede Menge verletzter Stolz, dachte
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