Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
Raupach. Zu Unrecht verletzt. Mit Absicht. »Lass uns ein wenig spazieren gehen.«
»Hier?« Sie betrachtete die neu angelegte Straße, der ein Witzbold aus der Stadtverwaltung den Namen Barcelonaallee gegeben hatte. Der grüne Turm des Präsidiums war der einzige Farbtupfer weit und breit, abgesehen von einigen Pkws. Es nieselte. Der Parkplatz war der ungemütlichste von ganz Köln.
»Warum nicht?«
Sie setzten sich in Bewegung. »Das da drüben ist sein Wagen.« Heide deutete auf einen amerikanischen Geländewagen. Er kam anscheinend frisch aus der Waschstraße, glänzte wie neu. »Das ist ein SUV – Sports Utility Vehicle. Wusstest du das?«
Raupach ging weiter.
»He, wo willst du hin?«, fragte Heide.
»Zu den Motorradstaffeln.«
»Aber die Mittagspause ist gleich vorbei. Wir laufen Paul direkt über den Weg.«
»Eben.«
Sie kamen zu den grün-silber lackierten Fahrzeugen, von denen momentan nur wenige im Einsatz waren. Der Bereich war überdacht. Heide fühlte sich unwohl. »Was willst du hier?«
»Nach dem Rechten sehen.« Sie erreichten Pauls BMW. Raupach bückte sich und machte sich unter der Maschine zu schaffen.
»Lass ihm die Bremsflüssigkeit ab«, sagte Heide und schaute sich verstohlen um. »Damit es ihn anständig auf die Fresse haut.«
»Schon passiert«, sagte Raupach und richtete sich wieder auf.
»Dann denk dir eine Erklärung aus.« Heide wies mit Kopf zum Hinterausgang des Präsidiums. »Da kommt er nämlich schon.«
Sie hakte sich bei Raupach unter und verfiel in einen Schlenderschritt. »Zur Not können wir ja auf Pärchen machen.«
»Ist schließlich nur zehn Jahre her«, meinte er.
»Für eine reife Frau hat eine Dekade gar nichts zu bedeuten. Lächerlich.«
»Du hast’s kapiert.«
»Von Clarissa bist du hoffentlich endgültig kuriert?«, fragte Heide. Die Gelegenheit war günstig, ihn auf seine Ex anzusprechen. Raupach hatte sechs Jahre mit ihr zusammengelebt. »Bei der Unterführung in Longerich hatte ich jedenfalls den Eindruck, dass du es überwunden hast.«
»Da bin ich schwach geworden«, sagte Raupach. »Kommt nicht wieder vor.«
»Schade.« Heide blieb stehen. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Paul zu ihnen herüberblickte. »Ich küsse dich jetzt. Geht das in Ordnung?«
»Nur zu.«
Sie strengte sich mächtig an. Paul konnte sie gar nicht übersehen. Vor einem Blumenkasten aus Beton, in dem ein paar Koniferen verdorrten, musste ihre Umarmung besonders leidenschaftlich wirken – es war kaum etwas da, wohin man sonst schauen konnte. Heide hielt durch, bis Paul auf seine BMW gestiegen und mit brüllendem Motor weggefahren war.
Sie holte tief Luft. »Wenn ich’s nicht besser wüsste, würde ich es ja noch mal mit dir versuchen.«
Das war Heides Art, ihm ein eindeutiges Angebot zu machen. Raupach spürte den Flachmann in ihrer Manteltasche. Nicht, dass ihm das etwas ausmachte, aber vielleicht würde sie bald bereuen, was sie da sagte.
»Bist du sicher, dass dies der richtige Zeitpunkt für Liebesschwüre ist?«, fragte er und wich zurück. Er musste vorsichtig sein. Wenn Heide den richtigen Ton traf, konnte er ihr nichts abschlagen.
»In drei Tagen ist Weihnachten. Ich will dir nichts vormachen: Jetzt brauche ich jemanden, der ein bisschen nett zu mir ist. Möglichst die ganze Nacht über.«
Er überlegte eine Weile. »Vielleicht haben wir Paul eifersüchtig gemacht.«
»Das ist keine Antwort.«
»Ich glaube, ich hab die Frage verpasst.«
Sie löste sich von ihm. »Vergiss es. War ’ne blöde Idee.«
Wie sollte er es ihr nur sagen? »Gib nicht dir die Schuld, Heide. Ich fürchte, auf Paul hast du keinen Einfluss.«
»Wer spricht denn von Paul?«
»Wir müssen über ihn sprechen. Aus Gründen, die wichtiger sind als deine oder meine Gefühle.«
»Was meinst du, zum Teufel?«
»Er hat dich ausgenutzt.«
»Darauf kannst du Gift nehmen!«
»Vielleicht in mehr als nur einer Hinsicht.« Er schaute sich um. »Wo steht dein Wagen?«
»Da drüben«, sagte sie verstört. »Du kennst ihn doch.«
»Setzen wir uns einen Augenblick rein.« Er dirigierte sie auf die Beifahrerseite. »Hast du ein Pfefferminzbonbon?«
Lili verschwand in einer Eckkneipe. Das Lokal befand sich an einer Straßenkreuzung, der Photini mit ihrem olivfarbenen Teint und ihren schwarzen Locken ungern nahe kam. Sie verzog den Mund und stellte sich vor, wie sie am Schießstand die Waffe hob und sich auf den Rückstoß gefasst machte. Dann schob sie einen schweren Vorhang beiseite und
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